Nach eineinhalb Jahren Verhandlungen besiegeln London und Brüssel die Modalitäten des britischen Austritts. Ob Premierministerin May eine Mehrheit für das Abkommen finden kann, ist offen.
Brüssel. Am Ende lieferte Freddie Mercury das passende Fazit der EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien: „Friends will be friends, right till the end.“ Diese Zeile aus dem gleichnamigen Song der britischen Bombastrock-Band Queen zitierte Ratspräsident Donald Tusk kurz vor dem Beginn des Sondergipfels am gestrigen Sonntag in Brüssel, bei dem der Brexit besiegelt wurde. Die Scheidung wurde als Formalakt im Expresstempo vollzogen: Nach mehr als eineinhalb Jahren Gefeilsche dauerte es nur eine gute halbe Stunde, bis die Staats- und Regierungschefs der EU-27 den fix und fertig verhandelten Texten zustimmten – einem 585 Seiten umfassenden Konvolut, das die Modalitäten des Austritts detailliert festhält, sowie einer 26-seitigen politischen Absichtserklärung über das künftige Verhältnis EU/Großbritannien. Erst nachdem diese Formalität vom Tisch war, durfte Großbritanniens Premierministerin, Theresa May, im Ratsgebäude vorsprechen.
Die Freundschaftsbekundungen waren an diesem Tag zahlreich, und sie kamen von den unterschiedlichen Seiten. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk sprachen ebenso von künftigen guten Beziehungen wie Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, oder Frankreichs Staatschef, Emmanuel Macron. Auch Premierministerin May stieß ins selbe Horn: „Großbritannien verlässt die EU, aber nicht Europa.“
Der Schauplatz des Geschehens verlagert sich nun auf die andere Seite des Ärmelkanals. Noch vor Weihnachten sollen die Abgeordneten des britischen Unterhauses über die beiden Dokumente abstimmen. Der Auftritt Mays brachte diesbezüglich eine wichtige Erkenntnis: Die britische Regierungschefin will das Votum im Unterhaus überstehen, indem sie gebetsmühlenartig wiederholt, dass es keine Alternative zum jetzigen Deal gibt – und dabei der Argumentationslinie der EU folgt.
Appell an das britische Volk
Es war kein Zufall, dass May gestern gleich mehrere Male Kommissionschef Juncker zitierte. Das Abkommen sei „der beste Deal und der einzige Deal, der infrage kommt“. Aus der EU-Perspektive gibt es keine Zweifel daran, dass Nachverhandlungen über das Austrittsabkommen ausgeschlossen sind. Spielraum gibt es höchstens in den Randspalten der Absichtserklärung über die künftigen Beziehungen – die freilich nicht bindend ist. Auf ein zweites „diplomatisches Meisterstück“, wie Merkel den Austrittsvertrag bezeichnete, sollte London nicht hoffen.
Die britische Premierministerin nutzte ihre Pressekonferenz in Brüssel dazu, sich direkt an das britische Volk zu wenden. Ende der Personenfreizügigkeit, Ende der regelmäßigen Geldüberweisungen nach Brüssel, Ende der Oberhoheit des Europäischen Gerichtshofs – die Regierung habe das erreicht, was die Wähler beim Brexit-Referendum 2016 gefordert haben. Nun gelte es, das Brexit-Gezänke zu beenden. Auch für das Abgeordnetenhaus, wo Mays Mehrheit wackelt, hatte die Regierungschefin eine Botschaft: „Wenn irgendjemand glaubt, diesen Deal ablehnen und anschließend neu verhandeln zu können, hat er sich getäuscht.“
Forderungen aus Spanien und Zypern
Doch auch abseits der innenpolitischen Ränkespiele in London ist das Thema weder für die Briten selbst noch für die EU vom Tisch. Der Scheidungsvertrag markiert nur das Ende des ersten Akts. Nach dem (voraussichtlichen) Brexit-Vollzug am 29. März 2019 beginnen die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen – bei denen die Briten möglichst viele Vorteile der EU-Mitgliedschaft erreichen wollen. Das dürfte schwierig werden, denn je näher das Austrittsdatum rückt, desto mehr treten die Partikularinteressen der Unionsmitglieder in den Vordergrund. Neben Spanien und der Frage des künftigen Umgangs mit Gibraltar ließ zuletzt auch Zypern mit der Forderung aufhorchen, die Sicherheitszusammenarbeit mit Großbritannien dürfe nach dem Brexit auf keinen Fall formal geregelt sein – die Zyprioten wollen dadurch ähnliche Forderungen seitens der Türkei verhindern.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich alle Beteiligten auf weitere Verhandlungsjahre einstellen. „Die Übergangsfrist bis 2020 wird nicht ausreichen“, prognostizierte ein EU-Diplomat gestern. Oder, um mit den Worten von Freddie Mercury zu sprechen: „The Show Must Go On“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2018)