Der Brexit als Monty-Python-Sketch

Reuters
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Premierministerin Theresa May besteht darauf, dass ihr Austrittsdeal für das Land vorteilhaft sei – ihr eigener Finanzminister behauptet zeitgleich das Gegenteil.

London. Das innenpolitische Gezerre in Großbritannien um den EU-Austritt nimmt immer absurdere Züge an. Der gestrige Auftritt von Premierministerin Theresa May im Unterhaus erinnerte phasenweise an den berühmten Sketch der britischen Komikertruppe Monty Python, bei dem der Verkäufer in einer Tierhandlung einen misstrauischen Kunden davon überzeugen will, der von ihm erstandene ausgestopfte Papagei sei nicht tot, sondern mache lediglich ein Mittagsschläfchen. Der von ihr ausgehandelte Brexit-Deal werde das Land wohlhabender machen, beteuerte May – während die Experten ihrer Regierung zur selben Zeit das genaue Gegenteil behaupteten.

Nach einem Mittwochmittag veröffentlichten Regierungsbericht wird der EU-Austritt zu den von der Regierungschefin vorgeschlagenen Bedingungen die britische Wirtschaftsleistung binnen 15 Jahren um 3,9 Prozent reduzieren. Anders ausgedrückt: Würde Großbritannien in der EU verbleiben, anstatt 2019 auszutreten, fiele das BIP pro Kopf im Jahr 2034 um rund 1000 Pfund höher aus.

Es könnte noch schlimmer kommen

Man kann Mays gestrige Aussagen allerdings auch großzügiger interpretieren: Ihr Deal bringt dem Vereinigten Königreich in der Tat Vorteile – im Vergleich zu den anderen, härteren Brexit-Varianten. Unter der Annahme eines ungeregelten EU-Austritts wird das britische BIP bis Mitte der 2030er-Jahre um rund zehn Prozent kleiner ausfallen. Bei einem Handelsvertrag nach Vorbild des Abkommens EU-Kanada (Cefta) dürfte sich das Minus auf 6,7 Prozent belaufen.

All diese Langzeitprognosen sind mit großer Vorsicht zu genießen, denn die ökonomische Dynamik lässt sich längerfristig nur schwer modellieren. Sie geben allerdings eine grobe Vorstellung von den Verlusten, die Großbritannien ohne Zugang zum EU-Binnenmarkt erleiden wird – und die durch bilaterale Handelsabkommen (etwa mit den USA) nicht einmal ansatzweise ausgeglichen werden können. Philip Hammond sprach kurz vor Mays Auftritt im Unterhaus das Offensichtliche aus: Es gebe keine Brexit-Variante, die sich für Großbritannien wirtschaftlich mehr rentieren würde als die EU-Mitgliedschaft, sagte der Schatzkanzler in einem BBC-Interview.

Der Regierungschefin steht nun eine Sisyphusarbeit bevor: Sie muss die durchwegs skeptischen Abgeordneten davon überzeugen, am 11. Dezember für das Austrittsabkommen zu stimmen. Sisyphos deshalb, weil so gut wie alle Beobachter davon ausgehen, dass May bei dem bevorstehenden Votum im Unterhaus eine Niederlage kassieren wird. Was dann passieren wird, ist völlig offen.

Die Bandbreite der Spekulationen reicht von Nachverhandlungen in Brüssel über Neuwahlen bis hin zu einem zweiten Brexit-Referendum oder einem Chaos-Brexit am 29. März 2019. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass man sich in London auch Gedanken über eine Unterbrechung des Countdowns Gedanken macht. Diese Überlegungen beschäftigen auch den EuGH. Die Höchstrichter der EU müssen sich derzeit mit der Frage befassen, ob Großbritannien auf eigene Faust aus dem im Artikel 50 des EU-Vertrags geregelten zweijährigen Austrittsprozess aussteigen kann. Nein, argumentieren die Anwälte von EU-Kommission und Rat – denn sonst könnte der Artikel 50 zur Erpressung der restlichen Unionsmitglieder missbraucht werden. Der EuGH-Generalanwalt wird sein Gutachten zu der Causa am 4. Dezember vorlegen.

Auf einen Blick

Wackeliger Brexit. Im britischen Unterhaus, das am 11. Dezember über den EU-Austrittsvertrag abstimmen wird, zeichnet sich eine Mehrheit gegen den Deal von Theresa May ab. Fällt die Niederlage harsch aus, könnte die Premierministerin gestürzt werden – mit unwägbaren Folgen. Bei einer knappen Abstimmungsniederlage dürfte sich May beim EU-Gipfel am 13./14. Dezember um Änderungen bei der politischen Absichtserklärung über das zukünftige Verhältnis EU-Großbritannien bemühen. In diesem Fall würde das Unterhaus voraussichtlich im Jänner 2019 über den modifizierten Deal abstimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2018)

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