Humanitäre Katastrophe: Hoffnungsschimmer für Jemen

Krieg im ärmsten Land der arabischen Welt. Ein Mann besichtigt die Schäden nach einem Luftangriff in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt.
Krieg im ärmsten Land der arabischen Welt. Ein Mann besichtigt die Schäden nach einem Luftangriff in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt.(c) REUTERS (Mohamed Al-Sayaghi)
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Im Jemen herrscht eine Hungersnot. Trotzdem wird weitergekämpft. Jetzt setzt die UNO auf neue Gespräche in Stockholm.

Istanbul/Sanaa. Martin Griffiths hat einen der schwersten Jobs der internationalen Diplomatie. Der 67-jährige Brite soll als Beauftragter der Vereinten Nationen den Krieg im Jemen beenden, der im ärmsten Land der arabischen Welt rund 14 Millionen Menschen hungern lässt. Ein kompliziertes Geflecht aus regionalen und internationalen Konflikten im Jemen hat bisher alle Vermittlungsbemühungen scheitern lassen. Nun hat Griffiths eine neue Verhandlungsrunde angesetzt, die möglicherweise schon diese Woche in Stockholm beginnen soll. Anhaltende Kämpfe trotz einer offiziellen Waffenruhe und großes Misstrauen auf beiden Seiten könnten die Konferenz platzen lassen, bevor sie überhaupt beginnt. Doch es gibt auch einen kleinen Hoffnungsschimmer.

Im Jemen kämpft eine vom saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman geführte Allianz sunnitischer Staaten seit dem Jahr 2015 gegen die Houthi-Miliz, die vom Iran unterstützt wird. Auf die Zivilbevölkerung nimmt keine der Kriegsparteien Rücksicht: Bei saudischen Luftangriffen kamen viele Frauen und Kinder ums Leben. Die Houthis beschießen Wohnviertel und greifen Städte in Saudiarabien mit Raketen an.

UN-Nothilfekoordinator schlägt Alarm

Der Krieg hat die weltweit schlimmste Cholera-Epidemie ausgelöst, gleichzeitig entsetzen Aufnahmen ausgemergelter Hungeropfer die Weltöffentlichkeit. UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock sagte bei einem Besuch im Jemen in den vergangenen Tagen, das Land stehe „am Rande einer großen Katastrophe“ – dennoch wird weitergekämpft.

Ein Grund dafür ist die Rivalität zwischen Saudis und Iranern. Riad wirft der iranischen Regierung vor, nach einer regionalen Vormachtstellung zu streben. Zusammen mit dem iranischen Engagement im Syrien-Krieg ergibt die Einmischung der Iraner im Jemen aus Sicht der Saudis eine gefährliche Zangenbewegung im Norden wie im Süden der arabischen Halbinsel. Zudem kommt dem Jemen wegen der Lage am Ausgang des Roten Meers zum Golf von Aden große strategische Bedeutung zu, nicht zuletzt wegen der Öltransporte durch den Suez-Kanal.

Gefechte um wichtige Hafenstadt

Trotz aller Widrigkeiten hatte die UNO die Vertreter der Konfliktparteien im April 2016 in Kuwait an den Verhandlungstisch gebracht, doch die Gespräche wurden einige Monate später ergebnislos abgebrochen. Vor zwei Monaten sollte in Genf ein neuer Versuch starten, doch die Houthis sagten ihre Teilnahme mit dem Argument ab, ihre Vorbedingungen – darunter freies Geleit für ihre Verhandlungsdelegation – seien nicht erfüllt worden. Statt Gesprächen gab es heftige Gefechte um die Hafenstadt Hodeida am Roten Meer, durch die ein Großteil der Hilfslieferungen für die notleidende Zivilbevölkerung ins Land kommt. Die Kämpfe hielten in den vergangenen Tagen trotz der Vorbereitung der Friedensgespräche an.

Bei der neuen Verhandlungsrunde in Stockholm will Griffiths auf die Wiedereröffnung des seit mehr als drei Jahren geschlossenen Flughafens der Hauptstadt, Sanaa, dringen – dies würde die humanitäre Hilfe erheblich erleichtern. Auf Wunsch der Houthis sollte ein Flugzeug am Montag mehrere Dutzend verwundete Kämpfer aus Sanaa in den Oman bringen. Damit will Griffiths erreichen, dass sich die Houthis in Schweden mit der von Saudiarabien unterstützten Regierung von Jemens Präsidenten, Abed Rabbo Mansour Hadi, zusammensetzen.

Dass die Initiative nicht ganz chancenlos ist, liegt zum Teil an politischen Veränderungen in den USA. Im Senat wächst der Ärger, dass Präsident Donald Trump trotz der vielen zivilen Opfer im Jemen zu den Saudis steht. Seine Weigerung, nach dem Mord am Journalisten Jamal Khashoggi mehr Druck auf Thronfolger bin Salman zu machen, bringt weitere Senatoren gegen Trump auf. Der Senat stimmte mit breiter Mehrheit für eine Resolution, die ein Ende der US-Hilfe für den saudischen Krieg im Jemen fordert – eine politische Ohrfeige für den Präsidenten.

Druck auf Donald Trump wächst

Zwar werde das Weiße Haus alles tun, um eine Änderung der Politik gegenüber Saudiarabien zu vermeiden, sagt Nahost-Expertin Francesca Fabbri von der Brüsseler Denkfabrik EPC zur „Presse“. Doch sollte die solide Mehrheit im Senat halten, müsse sich Trump möglicherweise dem Druck beugen. Wenn die USA ihren saudischen Partnern die volle Rückendeckung versagen, könnte Saudiarabien in Stockholm dieses Mal gesprächsbereiter sein.

Noch will aber niemand von Optimismus sprechen. Er wolle keine hohen Erwartungen wecken, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Aus seiner Sicht wäre es schon ein Erfolg, wenn Verhandlungen vor Jahresende überhaupt zustande kämen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2018)

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