Was sich Wolfgang Sobotka in der Duma anhören konnte

Als studierter Historiker glaube er an Russland, als Politiker müsse er es „aber mit dem Verstand begreifen“, sagte der österreichische Nationalratspräsident gestern vor mehr als 400 Abgeordneten der Staatsduma.
Als studierter Historiker glaube er an Russland, als Politiker müsse er es „aber mit dem Verstand begreifen“, sagte der österreichische Nationalratspräsident gestern vor mehr als 400 Abgeordneten der Staatsduma.Parlament
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Duma-Präsident Wolodin weist Verantwortung für Spionagefall bei Treffen mit österreichischem Kollegen Sobotka brüsk zurück.

Moskau. Seine Rede schloss Wolfgang Sobotka mit einem Bonmot, das immer wieder dann genannt wird, wenn ein russisches Rätsel nicht gelöst werden kann. An russischen Rätseln besteht bekanntlich kein Mangel. Sobotka zitierte am Dienstag Fjodor Tjutschews bekanntes Gedicht, dass man Russland mit dem Verstand nicht fassen könne. „Nur glauben kann man an das Land.“ Als studierter Historiker glaube er an Russland, als Politiker müsse er es „aber mit dem Verstand begreifen“, sagte der österreichische Nationalratspräsident gestern vor mehr als 400 Abgeordneten der Staatsduma.

Um Russland zu begreifen, müsse man einen „ständigen Dialog“ führen, gab Duma-Vorsitzender Wjatscheslaw Wolodin wenige Momente später zurück. Überhaupt ließ Wolodin keine Gelegenheit aus, um einen intensiveren Kontakt der Parlamente einzumahnen. Mit Sobotka kam der erste österreichische Parlamentspräsident nach 17 Jahren nach Russland. Den ansonsten guten diplomatischen Beziehungen würden diese Kontakte auf dem „Nullpunkt“ nicht entsprechen, sagte Wolodin. Die unzweideutige Botschaft: Moskau wünscht sich mehr Austausch zwischen den Parlamenten beider Länder. Angesichts des generell angespannten Verhältnisses zum Westen setzt man demonstrativ auf bilaterale Nähe zu Wien.

Besuch in Kiew zu Jahresbeginn 2019

Die Rede Sobotkas war der Höhepunkt des dreitägigen Besuchs in der russischen Hauptstadt, der am Dienstag mit einem Empfang in der österreichischen Botschaft begonnen hatte und bis heute, Donnerstag, andauert. Es war ein Besuch in stürmischer Zeit: Nach dem Bekanntwerden des Spionagefalls im österreichischen Bundesheer vor einem Monat (einem Oberst wird langjährige Spionage für den russischen Militärgeheimdienst GRU vorgeworfen), hatte Außenministerin Karin Kneissl ihre für Anfang Dezember geplante Visite in Russland abgesagt; sie hätte ursprünglich Beratungen des „Sotschi-Dialogs“ beiwohnen sollen, einem neuen Forum für zivilgesellschaftliche Kontakte zwischen Russland und Österreich. Sobotka hielt an seiner schon länger geplanten Reise fest. Nicht ohne zu betonen, dass ihn seine erste Reise 2019 in die Ukraine zu seinem Kollegen Andrij Parubij führen werde.

Das gestrige Treffen verstärkte indes einmal mehr den Eindruck der Inkompatibilität des politischen Vokabulars des Westens und der Sprache der russischen Führung. Selbst ein im internationalen Vergleich sanftmütiger Akteur wie Österreich ist von einer brüsken Reaktion Moskaus nicht ausgenommen.

Zum Beispiel der Spionageverdachtsfall, der die Stimmung zwischen Wien und Moskau zuletzt gedämpft hat. Die Causa war Gegenstand des vertraulichen Delegationsgesprächs in der Duma. „In einer starken Partnerschaft haben Cyber-Attacken, Destabilisierung und Spionage keinen Platz“, sagte Sobotka vor den Abgeordneten des von ihm als „Großmacht“ bezeichneten Landes.

Von Journalisten auf die Causa angesprochen, erklärte Wolodin, man habe auch über „schwierige Themen“ offen gesprochen. Die restliche Antwortzeit verwendete Sobotkas russischer Kollege allerdings darauf, um eine Verantwortung Moskaus in großer Ausführlichkeit abzustreiten. So behauptete der Duma-Vorsitzende, dass „bestimmte Kräfte“ eine Annäherung beider Länder verhindern wollten. Im russischen Politjargon ist dieser Ausdruck eine gebräuchliche Chiffre für die USA. Diese Kräfte würden vor Provokationen nicht zurückschrecken, um „Zwietracht zwischen unseren Staaten zu säen“. Wolodins Ausführungen blieben unwidersprochen.

Kein Platz für „Diktator Poroschenko“

Auch bezüglich des Vorfalls in der Meerenge von Kertsch, wo vor zehn Tagen der russische Grenzschutz drei ukrainische Schiffe mit Waffengewalt aufgebracht hatte, waren die bekannten Positionen zu hören. Sobotka rief beide Seiten zur „Deeskalation“ auf. Ohne Entspannung in der Ostukraine sei kein Abbau der EU-Sanktionen möglich.

Wolodin nannte den Vorfall hingegen eine „Provokation“ Kiews, wie schon andere Kreml-nahe Politiker vor ihm. „Für Diktatoren wie Petro Poroschenko sollte es in Europa keinen Platz geben“, erklärte er.

Die Duma beschloss gestern, die Grenzschützer von Kertsch mit Ehrenurkunden auszuzeichnen. Als Dank für ihren Heldenmut. Gegenstimmen gab es keine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2018)

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