Hungerstreiks setzen Ankara unter Druck

Leyla Güven befindet sich derzeit in der Türkei im Hungerstreik.
Leyla Güven befindet sich derzeit in der Türkei im Hungerstreik.(c) REUTERS (SERTAC KAYAR)
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Der Zustand der Politikerin Leyla Güven ist lebensbedrohlich: Sie protestiert gegen die Isolationshaft Öcalans.

Wien/Diyarbakır. Unterstützung erhält Leyla Güven von Angela Davis. „Frau Güven“, schreibt die US-amerikanische Bürgerrechtlerin in der „New York Times“, „ist eine große Inspiration für alle Menschen auf der Welt, die an Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit glauben.“ Wie Davis in den 1970er-Jahren auch, befindet sich Güven derzeit in der Türkei im Hungerstreik.

Ihr Gesundheitszustand gilt als lebensbedrohlich: Güvens Unterstützern zufolge ist sie nicht mehr in der Lage, selbst aufzustehen und zu gehen, sie könne sich kaum artikulieren und auch kaum Flüssigkeit zu sich nehmen. Ihren Hungerstreik kündigte die Politikerin am 8. November an, bei einer Anhörung vor Gericht – seither schlossen sich mehr als 100 Inhaftierte quer durch die Türkei diesem Protest an; in anderen Quellen ist von mehr als 200 Hungerstreikenden die Rede. Ihr Hauptziel: Die Isolationshaft des kurdischen PKK-Führers, Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imralı sitzt, soll beendet werden. Öcalan hat dem Vernehmen nach seit 2016 keinen familiären Besuch empfangen dürfen, Zugang zu seinem Anwalt wird ihm noch länger verwehrt. „Isolation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagte Güven im November vor Gericht dazu.

Schicksalswahl im Südosten

Der Gesundheitszustand von Güven und die rege Berichterstattung darüber dürften Ankara letztlich dazu bewogen haben, Öcalan nun doch einen Besuch zu gestatten: Sein Bruder Mehmet sprach ihn einige Stunden auf Imralı. In der Zwischenzeit hat das Justizministerium eine Delegation des größten Menschenrechtsvereins des Landes empfangen, um über die Hungerstreikenden zu sprechen.

Es ist nicht das erste Mal, dass (pro-)kurdische Inhaftierte und Aktivisten mit der Verweigerung von Nahrungsaufnahme für Öcalan demonstrieren. Zuletzt kam es 2016 zu einer solchen Aktion, davor 2012. Für die kurdische Bewegung ist der als autoritär geltende Öcalan freilich noch immer eine Galionsfigur. Teile der linken, prokurdischen Partei HDP, die oft um ihre Glaubwürdigkeit ringt, haben große Mühe, sich von der PKK-Affinität vieler ihrer Anhänger zu distanzieren. Immerhin wird die PKK auch in den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft.

Aktivisten wie Güven sind jedoch davon überzeugt, dass ein erneuter Friedensprozess ohne die Mitwirkung Öcalans nicht möglich sei. Die HDP-Abgeordnete Güven befindet sich seit einem Jahr in der Kurdenhochburg Diyarbakır im Gefängnis. In ihrem Prozess muss sie sich für ihre kritischen Äußerungen über die türkische Militäroperation Olivenzweig in Nordsyrien verantworten. Somit ist Güven nur eine von zahlreichen gewählten HDP-Politikern, die seit Wiederaufflammen des Kurdenkonflikts entweder gewaltsam von ihren Posten abgesetzt oder verhaftet wurden – darunter die ehemaligen Ko-Parteichefs Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ.

Das harte Vorgehen gegen die HDP wird sich – trotz des jüngsten Zugeständnisses – in nächster Zeit aber wohl kaum verändern. Im März stehen Kommunalwahlen an, und die Kurdenhochburgen im Südosten des Landes sind der Regierungspartei AKP ein besonderer Dorn im Auge. Denn seit Wiederaufflammen des Konflikts ist dort die Unterstützung für die HDP größer denn je. In diesen Regionen hat die AKP besonders viele demokratisch legitimierte Lokalpolitiker abgesetzt und mit Ankara-Treuen ersetzt. Für den Südosten wird es daher eine Schicksalswahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2019)

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