Venezuela: Machtkampf zwischen zwei Präsidenten

Juan Guaido President of the Venezuelan Parliament is seen after he announces that he assumes exe
Juan Guaido President of the Venezuelan Parliament is seen after he announces that he assumes exeimago/Agencia EFE
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Der 35-jährige Parlamentspräsident Juan Guaido hat sich zum vorübergehenden Präsidenten Venezuelas erklärt, US-Präsident Trump ihn nur Minuten später anerkannt. Präsident Maduro ist aber offiziell noch im Amt. Und bricht alle Beziehungen zu den USA ab.

Für Venezuelas scheidenden Präsidenten Nicolas Maduro war Oppositionsführer Juan Guaido lediglich ein "Junger, der Politik spielt". Damit hat er den 35-jährigen Parlamentspräsidenten offenbar unterschätzt. Dieser hat sich am Mittwochabend nämlich zum Staatschef südamerikanischen Landes ernannt. "Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interims-Präsident von Venezuela zu übernehmen", sagte Juan Guaido am Mittwoch bei einer Kundgebung vor Anhängern in der Hauptstadt Caracas. Guaido war Anfang Jänner zum Präsidenten des von der Opposition dominierten und von Maduro entmachteten Parlaments gewählt worden.

In Venezuelas Hauptstadt Caracas kam es indes zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und oppositionellen Demonstranten.

Minuten nach der Erklärung Guaidos erkannte US-Präsident Trump Guaido als interimistischen Präsidenten an. Guaido vertrete als Parlamentspräsident "das einzige legitime" Staatsorgan des Landes, weil er "ordnungsgemäß" vom venezolanischen Volk gewählt worden sei, hieß es am Mittwoch in einer vom Weißen Haus veröffentlichten Erklärung Trumps.
Trump werde "das volle Gewicht der Vereinigten Staaten, deren wirtschaftliche und diplomatische Macht einsetzen, um Venezuelas Demokratie wiederherzustellen", hieß es weiter. Außerdem sollten auch andere Länder der westlichen Hemisphäre Guaido anerkennen.

USA drängt Maduro zur Machtübergabe

Die US-Regierung hat Venezuelas Präsidenten Nicolas Maduro zu einer friedlichen Machtübergabe aufgefordert und andernfalls mit scharfen Konsequenzen gedroht. "Alle Optionen sind auf dem Tisch", sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter am Mittwoch in Washington. Die USA könnten ihre Wirtschaftssanktionen gegen die Maduro-Regierung drastisch verschärfen. In diesem Bereich habe man bisher "kaum an der Oberfläche" des Möglichen gekratzt. Auch ein militärisches Vorgehen schloss er nicht dezidiert aus.

Wenig später kam die Reaktion von Madura: Venezuela brach die diplomatischen Beziehungen zu den USA ab. Das diplomatische Personal müsse innerhalb von 72 Stunden das Land verlassen, sagte der amtierende Präsident Nicolas Maduro am Mittwoch.

Auch Brasilien, Paraguay und Kolumbien haben den venezolanischen Parlamentschef Juan Guaido als Übergangspräsidenten des südamerikanischen Landes anerkannt. Mexikos Regierung hingegen hält nach eigenen Angaben an der Präsidentschaft von Nicolas Maduro in Venezuela fest. 

Kanada und die Führung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) haben sich hinter Guaido gestellt. "Unsere Glückwünsche für Juan Guaido als Interims-Präsident von Venezuela. Er hat unseren Rückhalt, um das Land wieder zurück zur Demokratie zu führen", schrieb OAS-Generalsekretär Luis Almagro auf Twitter. Die Opposition beruft sich auf die Verfassung, nach der das Parlament übergangsweise die Exekutivgewalt übernehmen kann, wenn es keinen legitimen Präsidenten gibt.

Präsident Maduro hatte sich vor zwei Wochen für seine zweite Amtszeit vereidigen lassen. Zahlreiche Staaten, internationale Organisationen und die Opposition erkennen ihn allerdings nicht als legitimen Präsidenten an, weil die Wahlen im vergangenen Jahr nicht demokratischen Standards entsprachen. Unterstützt wird Maduro hingegen von seinen Verbündeten in Kuba, Bolivien und Nicaragua. Zuletzt versuchte er auch, seine Beziehungen zu Russland, China und der Türkei zu vertiefen.

Vier Tote bei Großdemonstration

Guaido und die Opposition hatte für Mittwoch zu Massenprotesten gegen den linksnationalistischen Staatschef Nicolas Maduro aufgerufen. Zehntausende Menschen gingen daraufhin Mittwoch im ganzen Land gegen die sozialistische Regierung auf die Straßen. Die Demonstranten zeigten Transparente mit der Aufschrift "Wir sind frei" und skandierten "Sie wird stürzen, sie wird stürzen, diese Regierung wird stürzen". Bei nächtlichen Protesten waren in dem südamerikanischen Krisenstaat zuvor vier Menschen ums Leben gekommen, darunter ein 16 Jahre alter Jugendlicher.

Opposition supporters hold rallies against Venezuelan President Nicolas Maduro's government
Opposition supporters hold rallies against Venezuelan President Nicolas Maduro's governmentREUTERS

Die Polizei feuerte Tränengasgranaten und Gummigeschosse in die Menge. Vermummte Demonstranten schleuderten Steine auf die Beamte. Nach Medienberichten wurden mehrere Demonstranten festgenommen. Auch Maduros Anhänger gingen auf die Straßen, um die Regierung zu unterstützen. Der 23. Jänner ist ein symbolisches Datum für das Land, weil an diesem Tag 1958 der damalige venezolanische Diktator Marcos Perez Jimenez gestürzt wurde.

Guaido rief die Streitkräfte auf, sich auf die Seite der Regierungsgegner zu stellen. Noch kann Maduro allerdings auf die Unterstützung der mächtigen Militärs setzen: Generäle sitzen an den wichtigen Schaltstellen der Macht, kontrollieren das Ölgeschäft, den Import von Lebensmitteln, Banken und Bergbaufirmen. Viele sollen in Korruption und kriminelle Geschäfte verwickelt sein.

Neues Gesicht der Opposition

Innerhalb weniger Wochen ist Guaido zum neuen Gesicht der geschwächten und gespaltenen Opposition in dem südamerikanischen Land geworden und hat einen neuen Konfrontationskurs gegen Maduro gestartet.

Bis vor kurzem war Guaido in Venezuela noch völlig unbekannt. Anfang Jänner wurde der hochgewachsene Abgeordnete der rechten Oppositionspartei Voluntad Popular (Volkswille) dann zum Präsidenten der von der Opposition dominierten und von Maduro entmachteten Nationalversammlung gewählt. Praktisch über Nacht trat er die Nachfolge von glücklosen Oppositionsführern wie Leopoldo Lopez und Freddy Guevara an: Lopez sitzt im Hausarrest, Guevara hat sich in die chilenische Botschaft in Caracas geflüchtet.

Guaido zeigt jedoch keine Angst: "Ich bin ein Überlebender, kein Opfer", sagt der verheiratete Vater einer Tochter über eine Unwetterkatastrophe in seinem Heimatstaat Vargas im Dezember 1999 mit tausenden Toten. Auch Guaido, seine Mutter und seine Geschwister waren betroffen. "Ich weiß, was es heißt, hungrig zu sein", versichert Guaido auch mit Blick auf die verheerende Wirtschaftslage in seinem Land.

"Übergangsregierung"

Der Oppositionspolitiker hatte sich bereit erklärt, die Führung einer "Übergangsregierung" zu übernehmen und Neuwahlen auszurufen. Die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung hat er dazu gebracht, Maduro wegen seiner umstrittenen Wiederwahl im Mai offiziell als "Usurpator" zu bezeichnen und eine Amnestie für aufständische Soldaten zu beschließen.

Der Oberste Gerichtshof hat die Beschlüsse allerdings annulliert. Alle Entscheidungen der Nationalversammlung seien "nichtig", erklärte das Gericht, das als regierungstreu gilt und die Autorität des Parlaments nicht anerkennt.

Neben der Justiz steht bisher auch die Militärführung hinter Maduro. Guaido appellierte an die Streitkräfte, sich aktiv an der "Wiederherstellung der Verfassung" in Venezuela zu beteiligen - wohl wissend, dass ein Sturz des linksgerichteten Staatschefs ohne das mächtige Militär nicht möglich wäre.

Festnahme durch Geheimdienst

Für weltweite Schlagzeilen sorgte er Mitte Jänner: Auf dem Weg zu einer Veranstaltung wurde Guaido auf der Autobahn von bewaffneten und vermummten Geheimdienstagenten gestoppt. Nach einer Stunde kam er wieder frei, die Bilder von seiner Festnahme gingen da schon um die Welt. Zwei Tage später bekam er einen Anruf von US-Vizepräsident Mike Pence, der seine "mutige Führungsstärke" lobte.

Der Abgeordnete Juan Andres Mejia warnt seinen Parteifreund jedoch vor einem "schwierigen Spiel". Venezuelas Politik sei von "Personenkult und autoritärem Führungsstil" geprägt. Dies könne zu einer "großen Last" für Guaido werden. Ob es in Venezuela zu einem Politikwechsel komme, hänge nicht nur von ihm, sondern "von allen" ab.

Maduro zeigte sich bisher unbeeindruckt und verspottete Guaido als "Präsidenten der Republik Wikipedia", weil er in Einträgen in dem Online-Lexikon zwischenzeitlich als Präsident bezeichnet worden war. Im Regierungslager hat Guaido aber schon für so viel Unruhe gesorgt, dass Strafvollzugsministerin Iris Varela ihm mit Gefängnis drohte: "Seine Zelle ist schon vorbereitet."

Tiefe Krise in Venezuela

Venezuela streckt in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Die Opposition wird unterdrückt, viele Regierungsgegner sitzen in Haft oder sind ins Exil geflohen. Aufgrund von Devisenmangel kann das einst reiche Land kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Rund drei Millionen Venezolaner sind bereits vor dem Elend ins Ausland geflohen.

(APA)

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