Flüchtlingspolitik: "Österreich wäre Idomeni geworden"

Archivbild aus dem Jahr 2015: Asylwerber an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich
Archivbild aus dem Jahr 2015: Asylwerber an der Grenze zwischen Deutschland und ÖsterreichAPA/AFP/CHRISTOF STACHE
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Die CDU arbeitet Merkels Flüchtlingspolitik auf. Thomas de Maizière ist nicht da, mischt aber in der Debatte mit. Es geht auch um "sehr hässliche Bilder", um Österreich - und um die Ehre.

Berlin. Schon 1247 Tage liegt die Entscheidung zurück, die Grenze zu Österreich zu kontrollieren, aber nicht zu schließen. Doch der Flüchtlingsherbst 2015 lässt die CDU nicht los. Ab dem frühen Sonntagabend sollte in einem zweitägigen „Werkstattgespräch“ die Flüchtlingspolitik von damals aufgearbeitet werden. Zunächst in einer Expertendiskussion mit Völkerrechtlern und Politologen. Die zentralen Akteure der Flüchtlingskrise fehlen jedoch im Konrad-Adenauer-Haus: Weder Kanzlerin Angela Merkel noch ihr Gegenspieler, der damalige CSU-Chef, Horst Seehofer, oder Thomas de Maizière, damals Innenminister, sind zum "Werkstattgespräch" eingeladen. Wobei de Maizière von der Seitenlinie  aus mitmischt. Er rechtfertigt sich in Interviews und in seinem neuen Buch „Regieren“, das just am Montag erscheint.

Merkel hatte de Maizière im Vorjahr in den Koalitionsverhandlungen mit CSU und SPD geopfert. Er selbst erfuhr davon aus den Medien. Trotzdem gilt er bis heute als loyaler Merkelianer. Mit seinem Nachfolger im Innenministerium, Horst Seehofer, ist er jedoch in Abneigung verbunden. Seehofer hatte die Flüchtlingspolitik damals als „Herrschaft des Unrechts“ gegeißelt. Auf Seite 77 seines neuen Buchs nennt de Maizière diesen Vorwurf nun „ehrabschneidend“.

Der Streit kreist um die Frage, ob Zurückweisungen an der Grenze im September 2015 juristisch geboten oder verboten waren. De Maizière selbst hielt sie für rechtlich möglich, aber nicht zwingend. Politisch entschied er sich dagegen. Auch aus Angst vor „sehr hässlichen Bildern“, wie er nun schreibt: „Wir hätten wilde Lager wie im griechischen Idomeni auf österreichischem Boden direkt an der Grenze“ gehabt. Deutschland hätte das nicht durchgehalten. Ganz ähnlich hat bisher die neue CDU-Chefin, Annegret Kramp-Karrenbauer, die Politik von damals verteidigt.

"Nichts war sicher"

Nach Angaben von de Maizière hätten Zurückweisungen damals „nur funktioniert, wenn auch Österreich und die anderen Länder entlang der Balkanroute“ binnen Tagen ihre Grenzen geschlossen hätten: „Aber nichts davon war abgestimmt, vorbereitet oder sicher.“ Die Argumentation ist bemerkenswert, weil Kanzlerin Merkel bisher immer die Sorge um Griechenland in den Vordergrund rückte – und nicht Zweifel an der Machbarkeit einer Westbalkanrouten-Schließung im Herbst 2015. Wobei auch de Maizière auf die „ausweglose Situation“ hinweist, vor der Griechenland dann gestanden hätte.

Zu Österreich schreibt de Maizière noch, es habe Migranten  „schnurstracks“ an die Grenze gebracht. Eine kleine Spitze? Recherchen der Zeitung „Die Welt“ zufolge habe das deutsche Innenministerium Österreich in internen Unterlagen gelobt, aber später, nämlich Ende Oktober 2015, „sehr kritisch“ nach Wien geblickt, weil Migranten „mit Bussen an Örtlichkeiten im Grenzraum“ verbracht worden seien, in denen nur „schwache oder keine Kräfte“ der deutschen Polizei eingesetzt waren. Die Situation wurde offenbar rasch im Gespräch zwischen Beamten des deutschen und österreichischen Innenministeriums geklärt. 

Mit seinem Buch hat sich de Maizière indes neuen Ärger mit den Bayern eingehandelt. Er schreibt darin, die Kommunalpolitiker im Grenzgebiet hätten auf eine Weiterverteilung der Flüchtlinge ohne Registrierung bestanden. Mehrere CSU-Lokalpolitiker schimpften am Sonntag über diesen „Unsinn“ und erklärten, man habe 2015 die Folgen des Nichthandelns in Berlin ausbaden müssen.

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