Der Rechenmeister der russischen Nation

Sozialpolitik und Wirtschaft standen im Zentrum der Rede.
Sozialpolitik und Wirtschaft standen im Zentrum der Rede.imago/ITAR-TASS
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Präsident Putin kündigt bei Ansprache viele Maßnahmen für Familien an – eine Reaktion auf sinkende Zustimmungswerte. Und er droht USA mit neuen Raketen.

Moskau. Im Vorjahr überraschte Wladimir Putin bei seiner Ansprache vor dem Föderationsrat die internationale Gemeinschaft mit einer ausführlichen Präsentation neuer Atomwaffen. Rund eine Stunde referierte er über Russlands Superraketen namens Sarmat, Kinschal und Awangard. Dieses Jahr war alles anders. Mehr Soziales, weniger Außenpolitik – das war die Devise. Beziehungsweise: „Mehr Kinder, weniger Steuern.“

Bei seiner 15. Rede vor Abgeordneten beider Parlamentskammern, Regierungsmitgliedern und religiösen Würdenträgern nahm die Verteidigungspolitik nur einen kurzen Teil der Redezeit ein. Putin lieferte ein Follow-up: Die kurz vor seiner Wiederwahl im März 2018 mit leicht altmodisch wirkender Computersimulation vorgestellte Interkontinentalrakete Sarmat sowie die Hyperschallrakete Awangard würden in Serienproduktion hergestellt, erklärte er gestern, auch die Rakete Kinschal sei „effektiv“. Noch im Frühling werde Poseidon, ein Atom-U-Boot mit unbemanntem Waffensystem, ins Wasser tauchen. Die Antischiffsrakete Zirkon (Reichweite bis zu 500 Kilometer) erwähnte Putin ebenfalls.

„Können die Amerikaner rechnen?“

All diese Waffensysteme seien lediglich eine Reaktion auf die sich verschlechternde internationale Sicherheitslage, sagte Putin. Zugleich drohte er: „Russische Raketen werden nicht nur gegen Territorien eingesetzt, wo sich Raketen des Gegners befinden, sondern auch gegen die Zentren, in denen die Entscheidung über ihren Start getroffen werden.“ Also gegen die USA. Die Amerikaner seien zweifellos „talentiert, aber können sie auch rechnen?“, fragte er mit Ironie. „Sie sollten einmal die Reichweite unserer Raketen berechnen.“

Moskau setzt also auf Abschreckung und erhöht seine Verteidigungsbereitschaft. Die Botschaft ist klar: Washington hat mit einer russischen Antwort auf eine mögliche Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Osteuropa zu rechnen. Russland müsse als Staat unabhängig und souverän sein, bekräftigte Putin. Der Applaus der Gäste war ihm sicher.

Applaus erklang auch im ersten Teil der Ansprache immer wieder. Putin inszenierte sich als Rechenmeister der Nation, als Anwalt des einfachen Volkes. Sozialpolitische Maßnahmen waren ihm detaillierte Ausführungen wert – Förderung von Wohnbaukrediten für Mehrkind-Familien samt Senkung der Zinsrate. Oder zum Beispiel Kinderkrippen: Errichtung von mehr als 200.000 Plätzen bis Ende 2021, 90.000 Plätze noch in diesem Jahr. Kostenpunkt: 147 Milliarden Rubel. Zahlen um Zahlen prasselten auf die Beamten ein.

Waren sind teurer

Putins Zuwendung zur eigenen Bevölkerung hat einen Grund: Der Präsident steht unter Druck. Seine Zustimmungswerte sind gesunken – laut Kreml-nahem Umfrageinstitut vertrauen ihm derzeit nur knapp 33 Prozent der Russen. Immer mehr Bürger nehmen den Kreml-Chef persönlich dafür in die Verantwortung, dass sich ihr Lebensstandard nicht verbessert. Dazu kommen die Folgen der unbeliebten Pensionsreform. Mit Jahresbeginn wurde die Mehrwertsteuer um zwei Prozent angehoben – das spüren die Russen, ganz gleich, ob arm oder reich.

Ob mit den einzelnen Maßnahmen die Beliebtheitswerte angehoben werden können, ist fraglich. Alles hänge von der konkreten Umsetzung ab, sagen Beobachter. Doch aus den Ankündigungen wird kein großer Wurf ersichtlich. Und zahlreiche andere Ankündigungen Putins werden von der russischen Realität konterkariert.

So sprach sich der Kreml-Chef gegen die Gängelung von Geschäftsleuten aus. Ausgerechnet in der Vorwoche wurde der bekannte US-Fondsmanager Michael Calvey wegen Betrugsvorwürfen in U-Haft genommen. Mehrere hohe Beamte haben sich für seine Freilassung eingesetzt. Die Beamtenschaft mahnte Putin, dass „arbeiten wie bisher“ keine Option sei. „Dann können Sie gleich aufhören.“ Auch er selbst ist mit dieser Frage konfrontiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2019)

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