Ökonom Marcel Fratzscher im "Presse"-Interview über den Investitionsstau in Deutschland, das Süd-Nord-Gefälle und ob man sich um Deutschland sorgen machen muss.
Die Presse: Herr Fratzscher, Sie beklagen immer wieder den Zustand der deutschen Infrastruktur. Muss man sich sich um den Wirtschaftsstandort Sorgen machen?
Marcel Fratzscher: Kurz- und mittelfristig nicht. Wir haben viele mittelständische „hidden champions“. Diese werden nicht von heute auf morgen verschwinden. Aber wenn Sie mich fragen, ob die Infrastruktur angemessen ist, um den Wohlstand und Wirtschaftsstandort in den nächsten zehn, 20 Jahren zu sichern, ist meine Antwort ein klares Nein. Und bei den Zukunftsindustrien sind Deutschland und Europa längst abgehängt.
Deutschland ist reich. Wieso verfällt teilweise seine Infrastruktur?
Erstens wurden die falschen Prioritäten gesetzt. Sozialausgaben hatten die größte Priorität. Und zweitens wurde das Geld falsch verteilt. Es gibt einige Kommunen und Bundesländer, denen das Geld übertrieben gesprochen fast aus den Ohren kommt. In anderen herrscht Mangel. 30 Prozent der Kommunen sind überschuldet und können wichtige Investitionen nicht tätigen. Sie stecken in einem Teufelskreis fest.