EuGH erlaubt Abschiebungen in EU-Länder mit niedrigeren Sozialstandards

Ein Archivbild aus einem deutschen Flüchtlingsaufnahmezentrum während des Krisenjahres 2015.
Ein Archivbild aus einem deutschen Flüchtlingsaufnahmezentrum während des Krisenjahres 2015.APA/AFP/dpa/DAVID EBENER
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Ein Verbot Flüchtlinge aus einem ins andere EU-Land nach den Dublin-Regeln abzuschieben, könne es erst bei "extremer materieller Not" im Zielland geben - nicht aber etwa bei drohender Obdachlosigkeit.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat Deutschland die Rückführung von Flüchtlingen in andere EU-Staaten erleichtert. Mängel im Sozialsystem stünden dem noch nicht entgegen, urteilte der Gerichtshof am Mittwoch. Ein Abschiebeverbot bestehe erst, wenn in dem anderen Land eine unmenschliche und "extreme materielle Not" drohe.

Nach EU-Recht ist für einen Flüchtling grundsätzlich das Land zuständig, über den er erstmals in die EU gelangte. Menschenrechts-Aktivisten sehen die Aufenthaltsbedingungen und Lebensverhältnisse für Flüchtlinge in mehreren EU-Staaten aber als kritisch an. Zahlreiche Flüchtlinge in Deutschland machen daher geltend, eine Rückkehr in das Einreiseland sei unzumutbar und daher nun Deutschland für das Asylverfahren zuständig.

Nach den Luxemburger Urteilen ist dies nicht ausgeschlossen, die Hürden bleiben aber hoch. Eine Rückführung in das Einreiseland ist erst dann unzulässig, wenn dies Flüchtlinge "in eine Lage extremer materieller Not versetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstößt".

Anlassfall: Gambier drohte in Italien Obdachlosigkeit

Konkret geht es unter anderem um einen Flüchtling aus Gambia. Er kam über das Mittelmeer nach Italien und stellte zunächst dort einen Asylantrag. Seinen später in Deutschland gestellten Asylantrag wiesen die Behörden daher als unzulässig ab. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg fragte beim EuGH an, ob eine Rückschiebung zulässig ist, auch wenn dem Mann in Italien Obdachlosigkeit und "ein Leben am Rande der Gesellschaft" drohen.

In weiteren Fällen geht es um staatenlose Palästinenser aus Syrien, die über Bulgarien nach Deutschland kamen, und um einen Tschetschenen, der über Polen einreiste. Der EuGH betonte nun den in der EU geltenden "Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens". Daher sei grundsätzlich davon auszugehen, dass alle EU-Staaten auch für Flüchtlinge die Menschenrechte beachten.

"Große Armut" kein Hindernisgrund für Abschiebung

Dennoch müssten Gerichte aber Hinweisen auf "Funktionsstörungen" in einzelnen EU-Staaten nachgehen. "Schwachstellen verstoßen aber nur dann gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen", erklärten die Luxemburger Richter. Der Wunsch nach deutschen Sozialstandards und selbst "große Armut" stünden einer Abschiebung nicht entgegen.

Überschritten sei die Schwelle erst bei einer unmenschlichen "extremen materiellen Not", die es Flüchtlingen nicht erlaube, "ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden".

Für die Rückführung in das Einreiseland besteht üblich eine Frist von sechs Monaten. Der EuGH entschied weiter, dass sich dies auf 18 Monate verlängern kann, wenn ein Flüchtling seine Unterkunft verlässt, um sich der Abschiebung zu entziehen.

Zweites Urteil: Keine Haft bei Kontrolle an Binnengrenzen

In einem anderen Fall hat das EuGH festgestellt, dass illegal eingereiste Drittstaatenbürger nicht in Haft genommen werden, wenn das betroffene EU-Land ihn an einer Grenze zwischen zwei Schengen-Ländern erwischt. Eine solche Binnengrenze, an der solche Kontrollen eingeführt wurden, könne einer EU-Außengrenze mit Blick auf die Regeln zur Abschiebung nicht gleichgestellt werden, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag. Danach sollen Abschiebungen in der Regel ohne Haft durchgeführt werden.

Hintergrund ist ein Fall aus Frankreich. Dort war 2016 ein Marokkaner, der zuvor bereits ausgewiesen worden war, erneut kurz hinter der spanischen Grenze in einem Fernbus aufgegriffen worden. Wegen des Verdachts auf illegale Einreise wurde Abschiebehaft gegen den Mann angeordnet. Die Entscheidung wurde von nationalen Gerichten jedoch angefochten, bis sie schließlich vor dem EuGH landete.

Eigentlich gibt es im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören, keine stationären Personenkontrollen an den Grenzen. Österreich, Frankreich, Deutschland und vier andere Staaten kontrollieren derzeit allerdings zumindest Teile ihrer Grenzen. Sie begründen das mit Sicherheitsproblemen, die aus der Flüchtlingskrise 2015/2016 resultierten.

(APA/AFP)

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