Der proeuropäische konservative, angesehene Parlamentsabgeordnete wurde von seinem Wahlkreis abgesetzt. Warnrufe vor einer drohenden Spaltung der Partei werden laut.
Er muss wohl als Sündenbock für den bisher ausgebliebenen Brexit herhalten: Der pro-europäische konservative Unterhausabgeordnete Dominic Grieve ist am Freitagabend bei einer Parteiversammlung in seinem mittelenglischen Wahlkreis Beaconsfield abgesetzt worden. Angeführt wurde die Revolte vom früheren Ukip-Politiker Jon Conway, der Grieve bei der Unterhauswahl im Juni 2017 unterlegen war.
Wie britische Medien am Samstag berichten, wurde Grieve bei der lokalen Parteiversammlung als "Lügner" und "Verräter" beschimpft. Er verlor daraufhin ein Misstrauensvotum mit 182 zu 131 Stimmen. Der frühere Generalstaatsanwalt ist im Unterhaus über die Parteigrenzen hinweg angesehen, bei der europaskeptischen Parteibasis machte er sich aber mit seinem unermüdlichen Werben für ein zweites Referendum über den Brexit unbeliebt. Seine Befürworter weisen darauf hin, dass er den Willen seines Wahlkreises vertrete, der bei der Volksabstimmung im Jahr 2016 mehrheitlich für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hat. Bei der Unterhauswahl 2017 hatte sich Grieve mit 65,3 Prozent der Stimmen durchgesetzt, Conway landete mit 2,9 Prozent auf dem vierten Platz hinter den Kandidaten von Labour und Liberaldemokraten.
Vorgeschmack auf Neuwahl-Chaos?
Beobachter sehen in Vorgängen einen Vorgeschmack darauf, was sich innerhalb der konservativen Partei abspielen könnte, wenn das Brexit-Patt in vorgezogene Neuwahlen münden sollte. Erst am Freitag hatten tausende Brexiteers vor dem Unterhaus demonstriert und den Abgeordneten vorgeworfen, das Austrittsvotum vom Juni 2016 zu hintertreiben. Brexit-Wortführer Nigel Farage kündigte eine "Revolution" und weitere "Kämpfe" an.
Von Abgeordnetenkollegen erhielt Grieve indes Solidaritätsbekundungen. Sogar der Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson stellte sich am Samstag hinter seinen Parteifreund. "Wir haben Meinungsverschiedenheiten bezüglich der EU, aber er ist ein guter Mann und ein wahrer Konservativer", schrieb Johnson auf Twitter, ergänzt durch den Slogan "Grieve for Beaconsfield".
Der frühere Schatzkanzler George Osborne warnte indes vor einer Spaltung der Konservativen und rief die Parteiführung in London zum Eingreifen auf. "Dominic Grieve wurde wegen seiner Ansichten abgesetzt, in einer von seinem früheren UKIP-Gegner geführten Kampagne", schrieb der jetzige Herausgeber der Londoner Zeitung "Evening Standard" auf Twitter. "Die Tory-Führung kann jede Abwahl stoppen, wenn sie möchte - was wir wiederholt getan haben. Die Parteizentrale sollte die lokale Partei suspendieren. Ansonsten steuern wir auf eine riesige, historische Spaltung der Tories zu", warnte Osborne.
(APA)