Theresa May in der Brexit-Zwickmühle: Drohen Neuwahlen?

Während die Regierungschefin unschlüssig ist, ist die Regierung gespalten. Es gebe „keine ideale Lösung“, räumte Justizminister David Gaucke gestern ein. Zugleich läuft der Countdown.
Während die Regierungschefin unschlüssig ist, ist die Regierung gespalten. Es gebe „keine ideale Lösung“, räumte Justizminister David Gaucke gestern ein. Zugleich läuft der Countdown.(c) APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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Obwohl der Premierministerin nach der erneuten Abstimmungsniederlage alle Auswege versperrt sind, macht sie weiter – und fordert ein viertes Votum. In den nächsten 72 Stunden entscheidet sich ihr Schicksal: Überblick über eine weitere heiße Woche im Brexit-Drama.

London. Obwohl heute 1. April ist, ist in der britischen Politik niemandem mehr zum Scherzen zumute. Während Premierministerin Theresa May eine neue Brexit-Volksabstimmung kategorisch ablehnt, habe sie weiter die „Absicht“, ihr bereits dreimal gescheitertes EU-Abkommen erneut im Parlament zur Abstimmung zu bringen, verlautete aus ihrem Umfeld. Während die Regierungschefin unschlüssig ist, ist die Regierung gespalten. Es gebe „keine ideale Lösung“, räumte Justizminister David Gaucke gestern ein. Zugleich läuft der Countdown.

Was heute geschieht. Das Parlament setzt heute seine Suche nach einer mehrheitsfähigen Brexit-Variante fort. Dabei zeichnet sich eine Mehrheit für einen Verbleib im Binnenmarkt und/oder der Zollunion ab. Die Regierung ist zutiefst gespalten, zahlreiche Minister drohen in diesem Fall offen mit Rücktritt, und auch für May ist die „Rückgewinnung unserer Fähigkeit, mit der ganzen Welt Handelsabkommen zu schließen“ eine ihrer „roten Linien“.

Ebenfalls beraten wird im Parlament heute über die Petition zur Rücknahme des Brexit, wofür mehr als sechs Millionen Bürger unterschrieben. May aber hält fest: „Die Entscheidung ist gefallen.“

Vierte Abstimmung am Dienstag? Nach dem Parlament wird May entscheiden, ob sie morgen, Dienstag, ihren Deal noch einmal zur Abstimmung vorlegt. Unklar ist nicht nur, ob ihr Antrag zugelassen wird, sondern auch, wo sie eine Mehrheit hernehmen will. Sie hat zwar den Widerstand von 230 auf 149 und zuletzt 58 Stimmen abgeschmolzen, aber weder der nordirischen DUP noch der Opposition ein Angebot für ein Umdenken gemacht. Mit ihrem Rücktrittsversprechen hat sie zwar die Hardliner in ihrer Partei gewonnen, aber auch jene gestärkt, die unter keinen Umständen einen Boris Johnson als Premierminister die nächste Phase des Brexit führen sehen wollen.

Spekuliert wurde über einen geänderten Regierungsantrag, der die Position des Parlaments berücksichtigen würde. Dazu müsste aber May ihre eigene Position fundamental ändern. Dann müsste die EU zu Neuverhandlungen bereit sein. Für beides gab es kein Anzeichen. Zudem forderten Hardliner am Wochenende in einem Rundschreiben, eher am 12. April ohne Deal aus der EU auszuscheiden als einer langen Verzögerung und einer Aufweichung der britischen Haltung zuzustimmen. Umgekehrt führt ein harter Brexit, wie Gaucke erneut klarmachte, ebenfalls zu einem Bruch der Regierung.

Wieder ein Schicksalstag. Wenn die Abgeordneten eine mehrheitsfähige Lösung finden, können sie am Mittwoch die Regierung per Gesetz beauftragen, diese neue Position mit der EU auszuhandeln. May könnte dem zuvorkommen, indem sie die Auflösung des Parlaments beantragt und Neuwahlen ausschreibt. Erforderlich ist aber eine Zweidrittelmehrheit im Parlament: Während die oppositionelle Labour Neuwahlen fordert und ihr Vize Tom Watson bekräftigte, „Wir haben die Vorbereitungen gestartet“, sind viele Konservative vehement dagegen.

Angst vor Neuwahlen. Vordergründig argumentieren die Gegner von Neuwahlen damit, dass es damit zu „weiteren Verzögerungen“, aber „keiner Lösung“ komme, wie der konservative Abgeordnete James Cleverely erklärte.

Die Wahrheit ist: In sofortige Neuwahlen müssten die Konservativen entweder unter der Führung Mays oder ohne Parteispitze ziehen. In beiden Fällen sind die Aussichten düster. Nach einer Umfrage der „Mail on Sunday“ liegt Labour fünf Punkte in Führung, und Mays sofortigen Rücktritt fordern 41 Prozent.

Und wieder eine Drohung. Die außenpolitische Sprecherin der Labour Party, Emily Thornberry, schoss am gestrigen Sonntag scharf gegen die Premierministerin: „May ist außer Kontrolle.“

Sollte sie nicht die Konsequenzen ziehen, „wird die Zeit kommen“ für einen neuerlichen Misstrauensantrag. May zeigte sich ungerührt. Nach dem sonntäglichen Kirchgang werde sie „über weitere Optionen nachdenken“, hieß es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2019)

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