Innerbritische Brexit-Gespräche im Leerlauf

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Trotz eines neuerlichen Appells von Premierministerin Theresa May zeichnet sich keine Einigung zwischen Regierung und Opposition ab. Am Mittwoch beraten die EU-Staats- und Regierungschefs über einen Aufschub.

London. Obwohl die Zeit bis zum nächsten EU-Krisengipfel zum Brexit eher schon in Stunden als in Tagen gemessen werden muss, gibt es in den Gesprächen zwischen der konservativen britischen Regierung und der oppositionellen Labour Party bisher offenbar keine greifbaren Fortschritte. Angesichts anhaltenden Widerstands aus den eigenen Reihen sah sich Premierministerin Theresa May in der Nacht auf gestern, Sonntag, gezwungen, die Verhandlungen erneut zu verteidigen: „Ich hatte keine andere Wahl“, erklärte sie. „Wir stehen vor der Entscheidung zwischen einem Brexit mit Abkommen oder keinem Brexit“, schrieb May.

Keineswegs vom Tisch ist aber auch die dritte Variante, die weder May noch die Mehrheit des Unterhauses will: ein „No Deal“-Brexit. Auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel wird May den übrigen 27 EU-Staats-und-Regierungschefs erklären müssen, warum ihr Land eine weitere Verlängerung braucht. Sie beantragte am Freitag eine Fristverlängerung bis 30. Juni – ein Termin, den die EU bereits einmal abgelehnt hatte. Umgekehrt brachte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Idee einer „Flextension“ ins Spiel: Großbritannien bekäme eine Nachspielzeit von bis zu einem Jahr, kann aber jederzeit früher austreten, wenn das Golden Goal, also eine Einigung, gelungen ist.

Trotz dieser verhärteten Fronten deutete der irische Ministerpräsident, Leo Varadkar, Bereitschaft zu einer Übereinkunft an: „Niemandem wird vergeben werden, der ein Veto einlegt“, warnte er seine EU-Kollegen. Auch die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, soll für eine Verständigung offen sein, während Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, immer mehr zum Wortführer jener avanciert, die meinen: „Genug ist genug.“

„Müssen das schwierigste Mitglied sein“

Wasser auf die Mühlen der Gegner einer Verlängerung goss zuletzt auch der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, Spiritus rector der europafeindlichen Tory-Fraktion. „Wenn wir gezwungen sind, bleiben zu müssen, müssen wir das schwierigste Mitglied sein“, sagte Rees-Mogg am Sonntag dem Sender Sky News. Eine Möglichkeit, Druck auf die EU-27 auszuüben, sei demnach ein britisches Veto gegen den langjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union, über den in Brüssel demnächst verhandelt wird.

Kommt es beim Sondergipfel am Mittwoch zu keiner Einigung, droht am Freitag, 23 Uhr, der Hard Brexit. Dies zu verhindern ist Ziel eines in der Vorwoche mit einer Stimme Mehrheit angenommenen Gesetzes, das heute und spätestens morgen durch alle Instanzen des britischen Parlaments gehen wird. Dagegen wurde vorerst mit keiner Initiative der Regierung gerechnet, dem Unterhaus neue Vorlagen zur Abstimmung vorzulegen. Dafür fehlt es in den Gesprächen mit der Opposition, die am Wochenende ausgesetzt waren, an Fortschritten.

Als Kernpunkte stellten sich drei Schwierigkeiten heraus: Zwar soll die Regierung Bereitschaft bekunden, die Forderung der Opposition nach einem Verbleib in der EU-Zollunion zu akzeptieren. Weil dies aber ein völliger Bruch der bisherigen Linie ist, „müssen wir es irgendwie anders nennen“, zitierten Sonntagszeitungen Verhandlungsteilnehmer. Eine zündende Idee scheint aber noch nicht gefunden.

Zum Zweiten verlangt die Labour Party Festlegungen von den Konservativen, dass jede Vereinbarung auch von Mays Nachfolger eingehalten werden muss. Das könnte etwa durch ein Gesetz erfolgen. Die Premierministerin hat bereits ihren Rückzug angekündigt, und es wird erwartet, dass ihr ein Hardliner wie Ex-Außenminister Boris Johnson nachfolgen wird.

Schließlich wächst in der Opposition der Druck auf eine neue Volksabstimmung über jede Brexit-Vereinbarung. Mit 80 Abgeordneten richtete bereits knapp ein Drittel der Labour-Vertreter im Unterhaus eine entsprechende Forderung an Parteichef Jeremy Corbyn. Da beide Parteichefs kein neues Referendum wollen, scheint hier am ehesten eine Vereinbarung möglich, wahrscheinlich, wie der „Mail on Sunday“ schrieb, eine „augenzwinkernde“.

Skepsis auf beiden Seiten

Während Schatzkanzler Philip Hammond Flexibilität bekundete und erklärte, die Regierung habe „keine roten Linien“, zogen die Brexit-Hardliner seiner Partei wieder einmal mit schwerem Geschütz auf. Die Gespräche mit Labour seien „ein katastrophaler Fehler“, meinte der Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, und Kurzzeit-Brexit-Minister Dominic Raab sprach von einem „verzweifelten Manöver“, das den Konservativen „jahrelang schaden wird“. Beide forderten einen No Deal als besten Ausweg. Für Labour warnte dagegen Wirtschaftssprecherin Rebecca Long-Bailey, die dem Verhandlungsteam angehört, für diesen Fall würde Labour „sehr, sehr stark“ überlegen, für eine Rücknahme des Brexit zu votieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2019)

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