Libyen: Bürgerkriegsland mit zwei Luftwaffen

MiG-23 der Regierungsluftwaffe
MiG-23 der RegierungsluftwaffeAFP
  • Drucken

Im Zuge des Sturzes von Gaddafi 2011 wurde das Gros der einst mächtigen Luftmacht zerstört. Reste gingen an die international anerkannte Regierung in Tripolis und die Kräfte unter General Haftar im Osten. Derzeit sind sie wieder voll im Kriegseinsatz.

Die jüngste Zuspitzung des latenten Bürgerkriegs in Libyen, der Truppen des von Ostlibyen aus agierenden Generals Khalifa Haftar binnen weniger Tage in einer Blitzoffensive bis vor die Tore der nominellen Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes gebracht hat, ist in den vergangenen Tagen - für manche vielleicht überraschend - auch von Einsätzen von Kampfflugzeugen begleitet worden.

Es begann am Samstag, 6. April, als motorisierte Verbände von Haftars „Libyscher Nationalarmee" LNA aus der Luft angegriffen wurden, an zumindest einer Stelle etwa 50 Kilometer südlich der Hauptstadt in der Region Al-Aziziya. Laut LNA habe es kaum Schäden gegeben. Die Maschinen sollen in der westlibyschen Stadt Misrata östlich von Tripolis gestartet sein und zählen zur „offiziellen" libyschen Luftwaffe (Government National Airforce, GNA). Misrata wird von der international anerkannten Regierung in Tripolis bzw. de facto mit dieser verbündeten Milizen beherrscht.

In den Folgetagen griffen Flugzeuge der GNA laut Analysen von westlichen Beobachtern (etwa der Militärplattform Jane's Defence) von Misrata sowie Mitiga, dem Flughafen von Tripolis, aus erneut an. So wurde am Sonntag ein Flughafen der Haftar-Luftwaffe bombardiert, nämlich die Airbase Al-Watiya, die sich westlich von Tripolis unweit der Grenze zu Tunesien befindet - tatsächlich reicht Haftars Macht, obwohl er seinen Sitz eigentlich in Tobruk nahe der Grenze zu Ägypten hat, bis hierher. Seine Kräfte kontrollieren den Großteil des Landes, freilich ist deren Loyalität mitunter zweifelhaft.

Der Angriff der Regierungsluftwaffe auf die Al-Watiya-Basis sei ineffektiv gewiesen, heißt es seitens Jane's Defence, vor allem sei die Piste mangels geeigneter Bomben nicht wesentlich beschädigt worden.

Angriffe aus Ägypten?

Umgekehrt soll es schon am Samstag einen Luftangriff der LNA auf die Gegend um den erwähnten Flughafen von Tripolis gegeben haben; sicherlich gab es mindestens einen am Montag und Berichten zufolge einen weiteren heute Dienstag. Die Haftar-Truppen verloren allerdings laut vorliegenden Berichten wieder die Kontrolle über diesen Flughafen, den sie in den Tagen zuvor erobern wollten. Auch am Sonntag griffen Jets Haftars (namentlich Suchoi Su-22 „Fitter") regierungstreue Milizen an.

Einige Beobachter glauben, dass auch Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate eingreifen können: Nämlich mit Luftangriffen auf die Flughäfen bzw. Pisten von Misrata und Mitiga/Tripolis. Flugzeuge bzw. Drohnen beider Länder hatten in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Ziele in Libyen angegriffen, vor allem Dschihadistenmilizen; im übrigen unterstützen sie die Haftar-Fraktion.

Kampfjets der Tripolis-Regierung (li.) und der Haftar-Luftwaffe
Kampfjets der Tripolis-Regierung (li.) und der Haftar-LuftwaffeIHS Jane's

Es dürfte vor allem überraschen, dass beide großen Gegner in Libyen - also Haftar und die Regierung in Tripolis - angesichts des Chaos, der großräumigen Verheerung und des Geld- und Ressourcenmangels im Land überhaupt noch so etwas wie Luftwaffen besitzen.

Tatsächlich war Libyens Luftwaffe zu Zeiten von Diktator Muammar al-Gaddafi (Herrscher von 1969 bis zu seiner Ermordung 2011) neben jener Ägyptens eine der größten Afrikas. Ihr liefen über diese Jahre mehr als 500, womöglich bis zu 900 Kampfflugzeuge zu (abgesehen etwa von Transportern, Aufklärern), vor allem sowjetischer, jugoslawischer und französischer Herkunft.

Einst eine der größten Luftwaffen Afrikas

Für 2010 nannte das Internationale Institut für Strategische Studien in London IISS noch etwa 375 Flugzeuge. Die Zahlen waren immer mit Vorsicht zu genießen, weil die Einsatzfähigkeit eines erheblichen Teils der Luftwaffe zweifelhaft war. Das verschärfte sich mit dem Ende des Ostblocks und der Auflösung der UdSSR bis 1991, weil das neue Russland seine Militärhilfe drastisch kürzte. Zudem sanken in den 1990ern die Öleinnahmen und gab es von 1992 bis 1999 bzw. letztlich 2003 ein UN-Waffenembargo gegen Libyen, als Reaktion auf dessen Verwicklung in Bombenanschläge auf Verkehrsflugzeuge der USA und Frankreichs.

Libysche Su-22 über dem Golf von Sirte, 1985, fotografiert von einem US-Jet aus.
Libysche Su-22 über dem Golf von Sirte, 1985, fotografiert von einem US-Jet aus. U.S. Navy

In den 2010er-Jahren sollen beispielsweise von den etwa 220 (nach anderen Quellen 170) einst beschafften MiG-21 „Fishbed" kaum noch welche geflogen sein; von 130 MiG-23 „Flogger"-Schwenkflügeljagdbombern waren wohl nur 30 bis 50 operationell.

Libyen warb als Piloten und Bodenpersonal übrigens auch Russen, Bürger Ex-Jugoslawiens, Südafrikaner, Pakistani und andere an.

Aufgeteilt auf die Rivalen

2011, im Zuge des Sturzes von Gaddafi, des Bürgerkriegs und der Intervention der Nato und arabischer Länder, wurde der Großteil der noch flugfähigen Maschinen zerstört. Der kümmerliche Rest fiel an die bis heute weitgehend machtlose Regierung in Tripolis und jene der Gegenregierung, letztlich von General Haftar, in Tobruk. Diese bekam Unterstützung auch in Form gebrauchter Flugzeuge und Hubschrauber aus Ägypten und von den Emiraten, während sich Tripolis den anfangs überlegten Kauf moderner Flugzeuge und Hubschrauber für die GNA in Europa nicht leisten konnte.

Die GNA erlitt überdies einen massiven Rückschlag, als Einheiten aus Ostlibyen im Sommer 2014 den schon erwähnten Fliegerhorst Al-Watiya ganz im Westen einnahmen. Dort standen etwa zehn Suchoi Su-22 „Fitter"-Jagdbomber, mehrere Kampfhubschrauber, möglicherweise bis zu 21 ausgemusterte französische Mehrzweckkampfflugzeuge Mirage F1 und große Mengen an Ersatzteilen. Fast alle dieser Maschinen waren fluguntüchtig und teils zerlegt; seither hat aber die GNA einige davon unter anderem mit Hilfe ukrainischer Techniker wieder in die Luft bringen können; allerdings sind manche davon wieder abgeschossen worden oder wegen Defekten abgestürzt.

Instandsetzung einer Fitter für die LNA-Luftwaffe in Al-Watiya , etwa 2015
Instandsetzung einer Fitter für die LNA-Luftwaffe in Al-Watiya , etwa 2015aerohisto.blogspot.com

Verluste steckte auch die LNA manche ein. Allerdings ist die Balance in der Luft ziemlich zu ihren Gunsten: Quellen von Jane's Defence gaben das (flugfähige) Inventar der Haftar-Flieger gegenüber der „Presse" mit etwa zwölf MiG-21bis, etwa 20 MiG-21MF aus Ägypten und einigen MiG-21UM an; dazu drei MiG-23, zehn bis zwölf Su-22M und zwei Mirage F1. Letztlich wohl mehr als 47 Flieger. Die Armee soll etwa 30 Hubschrauber besitzen.

MiG-21 von Haftar, das hintere wird als aus ägyptischer Herkunft identifiziert
MiG-21 von Haftar, das hintere wird als aus ägyptischer Herkunft identifiziertIHS Jane's

Auch Algerien mischt mit

Die GNA der Regierung in Tripolis, die laut Jane's mittlerweile von Algerien Hilfe erhält, um den Einfluss Kairos einzudämmen, ist demnach im Kern so aufgestellt: elf leichte Soko G-2 „Galeb"-Trainer/Erdkampfflugzeuge aus Ex-Jugoslawien, ein Soko J-21 „Jastreb"-Trainer/Erdkampfflieger, zehn tschechische Aero L-39 „Albatros"-Trainer/Erdkampfflieger, drei MiG-23, zwei Mirage F1, ein Abfangjäger Mikojan MiG-25 „Foxbat" (also etwa 28 und großteils sehr leichte Jets) sowie eine Handvoll Transporter, Hubschrauber und leichter Propellertrainer.

Aero L-39 Albatros der Tripolis-Luftwaffe
Aero L-39 Albatros der Tripolis-Luftwaffesouthfront.org

Angeblich versucht man auch, weitere MiG-25 Foxbat herzurichten, von denen Gaddafi einst mehr als 60 gekauft hatte, die aber bis Mitte der 2000er stillgelegt wurden. Die extrem schnellen Jäger können 2500 bis 3000 km/h erreichen, „fühlen" sich als schnelle Aufklärer aber besser als in der Jägerrolle.

MiG-25 Foxbat, in der Luft ein Kampfhubschrauber Mi-24 "Hind"
MiG-25 Foxbat, in der Luft ein Kampfhubschrauber Mi-24 "Hind"IHS Jane's

Die genannten Zahlen fußen zwar auf guter Quelle, sollten aber dennoch nicht als zu 100 Prozent autoritativ gelten, denn es gibt in anderen Quellen etwas abweichende Angaben und die Lage vor Ort ist teils schwer einsehbar.

Insgesamt gesehen war und ist der Einfluss der beiden libyschen Luftwaffen auf das Kampfgeschehen an Land aber mäßig. Es soll keine präzisionsgelenkte Munition dafür geben, die Mengen an nur wenig treffgenauen Freifallbomben und ungelenkten Luft-Boden-Raketen sind überschaubar, bei den meisten Luft-Boden-Einsätzen wurde nur aus Bordkanonen geschossen.

(WG)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Migranten in einem Internierungslager in Tripolis.
Außenpolitik

Tausende Migranten in Libyen könnten zu Flüchtlingen werden

"Bei Krieg hätten wir nicht Migranten, sondern Flüchtlinge vor den Toren“, warnt die italienische Verteidigungsministerin. Libyens Regierungschef Sarraj warnt gar vor einer „Invasion“ und hofft damit auf Hilfe aus Europa.
Members of Libyan National Army (LNA) commanded by Khalifa Haftar, get ready before heading out of Benghazi to reinforce the troops advancing to Tripoli, in Benghazi
Außenpolitik

WHO: Mehr als 120 Tote bei Kämpfen in Libyen

Mindestens 121 Menschen sind laut WHO-Angaben seit Beginn der Gefechte am 4. April getötet worden.
Home

UN-Generalsekretär warnt vor "blutiger Schlacht" um Tripolis

Noch sei Zeit für eine Waffenruhe, sagte Antonio Guterres. Doch die Situation sei nach der Offensive durch General Haftar auf Tripolis „sehr gefährlich".
Der Bürgerkrieg in Libyen eskaliert. Einheiten der mächtigen Stadt Misrata rücken vor, um den Angriff von General Haftars Truppen auf Tripolis zu stoppen.
Libyen

Die Schlacht um Tripolis

Die Regierung und ihre Verbündeten versuchen verzweifelt, General Haftars Vormarsch zu stoppen. Jets bombardieren den Flughafen Mitiga. Im Kampf um die Hauptstadt mischen viele Kräfte mit - ein Überblick.
Soldat und Panzer
Außenpolitik

Libyen steuert auf einen neuen Bürgerkrieg zu

General Khalifa Haftar marschiert auf die Hauptstadt Tripolis zu. Die international anerkannte Regierung startet eine Gegenoffensive. Die USA ziehen Soldaten wegen der unsicheren Lage ab.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.