May tritt zurück – nun droht eine neue Brexit-Konfrontation

APA/AFP/TOLGA AKMEN
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Die britische Premierministerin wird den Weg für einen Nachfolger an der Spitze der Tories ab dem 7. Juni frei machen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der Brexit-Befürworter Boris Johnson.

„Es war die Ehre meines Lebens“, sagte Premierministerin Theresa May in pinkem Blazer postiert vor der so berühmten schwarzen Tür in Downing Street 10. In einer emotionalen Rede kündigte sie am Freitag in London an, nach dem 7. Juni den Weg frei zu machen für die Wahl eines Nachfolgers aus der Konservativen Partei. Mehr als sechs Minuten dauerte ihre Rede, die den Abschied Mays als zweite britische Premierministerin markiert.

May bedauerte, dass es ihr nicht gelungen sei, mit ihrem Brexit-Kurs zu überzeugen. Nun sei es im besten Interesse des Landes, wenn ein anderer Regierungschef den Brexit-Prozess begleite. Sie gehe nicht im Groll, betonte sie am Ende ihrer Stellungnahme, sondern mit „enormer und bleibender Dankbarkeit, dem Land, das ich liebe, zu dienen“. Dann brach ihre Stimme, sie verzog das Gesicht und zog sich in ihre Residenz zurück. Zwar will May noch so lange im Amt bleiben, bis ein Nachfolger feststeht. Doch schon jetzt deutet alles auf eine Verschärfung der Brexit-Krise zwischen dem Königreich und der EU hin.

Sowohl die Nachfolge-Anwärter aus den Reihen der Tories als auch Labour fordern Änderungen an dem Brexit-Vertrag, den May mit der EU ausgehandelt hat, der aber im britischen Unterhaus drei Mal durchgefallen ist.

Brexit könnte verschoben werden

Die EU will den Vertrag jedoch bislang nicht aufschnüren. Das bekräftigten nach Mays Rücktrittsankündigung noch einmal EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der May als „Frau von Mut“ bezeichnete und der irische Außenminister Simon Coveney. Daran werde auch ein neuer Premierminister nichts ändern, sagte Coveney. Wie, wann oder ob Großbritannien aus der Staatengemeinschaft ausscheidet, bleibt somit vollkommen ungewiss. Derzeit ist die Frist für den Abschied der 31. Oktober. Coveney schloss nicht aus, dass der Brexit-Termin erneut verschoben werde.

Auch die Gefahr eines ungeregelten Brexit wird nun wieder größer. Denn als aussichtsreichster Anwärter auf Mays Nachfolge gilt Ex-Außenminister Boris Johnson, der für viele Briten das Gesicht der Brexit-Befürworter ist. Er rief kurz nach Mays Rücktrittsankündigung dazu auf, nun in Sachen Brexit „liefern“ zu müssen. Doch ob er im Gegensatz zu May eine Mehrheit im britischen Unterhaus für einen Brexit-Deal zustande bringen könnte, ist fraglich. Ein Austritt ohne Abkommen dürfte nach Einschätzung zahlreicher Wirtschaftsexperten zu ökonomischen Verwerfungen auf beiden Seiten des Kanals führen.

Wer das Amt des Parteichefs übernehmen wird und in der Folge auch die Schlüssel zur Downing Street 10 erhält, wird sich nun in einem mehrstufigen Auswahlverfahren erweisen. Zunächst wird das Bewerberfeld von den Abgeordneten der Tory-Fraktion in mehreren Wahlgängen auf zwei Kandidaten reduziert. In jedem Wahlgang scheidet der Letztplatzierte aus. Die beiden verbliebenen Bewerber müssen sich dann der Parteibasis bei einer Urwahl stellen. Erwartet wird, dass der neue Premierminister bis Ende Juli feststeht.

Labour fordert Neuwahlen

Oppositionschef Jeremy Corbyn begrüßte Mays Entscheidung und forderte Neuwahlen. Die Konservative Partei sei zu zerstritten, als dass sie das Land regieren könne, und im Parlament herrsche eine Blockade. "Wer auch immer der neue Chef der Konservativen wird, muss das Volk über die Zukunft unseres Landes entscheiden lassen und zwar über eine rasche Parlamentswahl."

Eine Neuwahl gilt nicht als völlig unwahrscheinlich, da der Führungswechsel nichts an den knappen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ändern wird. Fraglich ist, ob sich eine der großen Parteien dabei eine absolute Mehrheit sichern könnte. Sollte es weder für eine Tory- noch für eine Labour-Regierung reichen, gäbe es möglicherweise weiter keinen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse.

Doch zuerst stehen die Europawahlen an - und ihr droht den Konservativen am Sonntag ein böses Erwachen. Letzte Umfragen vor der Wahl am Donnerstag sahen die Brexit Party bei knapp 40 Prozent. Die Tories dümpelten bei einstelligen Werten dahin. 

(Reuters/ red. )

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