Ägypten: Willkürliche Verhaftungen und Elektroschocks

Machthaber Abdel Fattah al-Sisi.
Machthaber Abdel Fattah al-Sisi.(c) APA/AFP/POOL/CHARLES PLATIAU
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Human Rights Watch wirft den Sicherheitskräften schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Aufstandsbekämpfung auf dem Nordsinai vor. Das harsche Vorgehen ist symptomatisch für Staatschef Sisis autoritäre Herrschaft.

Wien/Kairo. Die Geschichte, die Hossam erzählt, ist schrecklich: „Sie geben dir Elektroschocks. Oder sie hängen dich an den Handgelenken auf. Dann kommen Soldaten der Militärpolizei und schlagen dich.“ Hossams Bericht ist nur eine von vielen Zeugenaussagen, die die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihrem soeben erschienen Report zur Lage auf dem Nordsinai zusammengetragen hat.
Hossam wurde 2015 von Ägyptens Sicherheitskräften auf dem Sinai verhaftet. Erst war er in Kairo eingesperrt, später im al-Azouly-Gefängnis auf der al-Galaa-Militärbasis in Ismailia. Dort wurde er – so wie viele andere – in einem „S-8“ genannten Gebäude gefoltert.

Ägyptens Armee und Polizei kämpfen auf dem Sinai gegen Jihadisten, die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) verbündet sind. Die Zivilisten in der Region geraten dabei zwischen die Fronten. Die Jihadisten verüben Attentate, kidnappen und ermorden Menschen und terrorisieren die Bevölkerung in den Dörfern, die sie kontrollieren. Das ägyptische Militär wiederum setzt bei der Aufstandsbekämpfung auf kollektive Unterdrückungsmaßnahmen.

Der Human-Rights-Bericht wirft den Sicherheitskräften und mit ihnen verbündeten Milizen vor, Personen willkürlich zu verhaften, zu foltern und in mehreren Fällen ohne Gerichtsverfahren zu töten. Von Juli 2013 bis Dezember 2018 sollen laut Human Rights Watch 12.000 Bewohner des Sinai festgenommen worden sein.

Das massive Vorgehen ist symptomatisch für die Methoden, die Ägyptens Sicherheitskräfte im ganzen Land gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner anwenden. Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International kritisieren immer wieder schwere Verstöße gegen die Menschenrechte, wie willkürliche Verhaftungen, Folter und unfaire Prozesse.

Kritik wird im Keim erstickt

NGOs und Journalisten stehen unter massivem Druck. Kritik oder gar offener Widerstand gegen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi werden im Keim erstickt. Seit seiner Machtübernahme mithilfe des Militärs im Juni 2013 hat er seinen Einfluss im Staat kontinuierlich ausgebaut. Nicht nur die damals aus der Regierung verdrängten Politiker der Muslimbruderschaft wurden in den folgenden Jahren verfolgt, sondern auch linke und liberale Aktivisten.

2018 wurde der ehemalige Militärchef erneut zum Staatspräsidenten gewählt. Ernsthafte Herausforderer hatte er bei der Abstimmung aber nicht. Wer es wagte, gegen Sisi anzutreten, musste seine Bewerbung rasch wieder zurückziehen. Am Schluss blieb nur ein chancenloser Alibi-Gegenkandidat übrig. Eine Verfassungsreform soll Sisi nun auch ermöglichen, noch mehr als zehn weitere Jahre im Amt zu bleiben.

In Europas Regierungskanzleien sieht man über diese Menschenrechtsverletzungen weitgehend hinweg. Offenbar hofft man, in Sisi einen Garanten für Stabilität und einen Verbündeten im Kampf gegen Migration über das Mittelmeer zu haben. Für Aufsehen sorgen meist nur Fälle, die Ausländer betreffen, wie der des Italieners Giulio Regeni. Er wurde 2016 in Kairo verschleppt, gefoltert und ermordet. Die jüngsten Berichte zu dem Verbrechen machen immer deutlicher: Die Täter waren offenbar ägyptische Geheimpolizisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2019)

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