Das Ende der atomaren Abrüstung

Der Koffer mit den Codes zum Auslösen eines Angriffes mit Atomwaffen ist immer in der Nähe des US-Präsidenten.
Der Koffer mit den Codes zum Auslösen eines Angriffes mit Atomwaffen ist immer in der Nähe des US-Präsidenten.(c) REUTERS (Joshua Roberts)
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Der Konflikt mit dem Iran über Nuklearprogramm und Tankerangriffe verweist auf ein globales Risiko: Die Atommächte modernisieren ihre Arsenale, wie aus dem neuen Sipri-Bericht hervorgeht.

Stockholm. Die Zuspitzung des internationalen Streits über das iranische Atomprogramm nährt Befürchtungen vor einem neuen Krieg am Golf. Ein Krieg, in dem die Nuklearwaffen nicht nur Gegenstand der Auseinandersetzung sind, sondern auch in der Realität eingesetzt werden könnten.

Am Sonntag standen die Zeichen ebenfalls nicht auf Entspannung: US-Außenminister Mike Pompeo wiederholte die Vorwürfe Washingtons, wonach Teheran für die Tankerangriffe am vergangenen Donnerstag im Golf von Oman verantwortlich sei. Geheimdienstinformationen belegten dies, sagte Pompeo, ohne Details zu nennen. Washington sei sich mit seiner Einschätzung „komplett sicher“. Zugleich betonte er: „Wir wollen keinen Krieg.“ Außer den USA beschuldigten Großbritannien und Saudiarabien Teheran, das seinerseits die Vorwürfe nachdrücklich zurückwies. Der Ölpreis ist seit dem Vorfall um 3,4 Prozent gestiegen. Versicherungskosten für Frachtschiffe in der Region gingen um zehn Prozent in die Höhe.

Trotz der Spannungen will der Iran weitere Schritte setzen, durch die einige Verpflichtungen aus dem Atomabkommen von 2015 gebrochen werden. Im Klartext: Der Iran will seine Bestände an angereichertem Uran und Schwerwasser in der Atomanlage Arak ausweiten. Schon am 27. Juni soll die laut Vertrag zulässige Menge überschritten werden. Die Führung der Islamischen Republik reagiert damit auf die Aufkündigung des Abkommens durch die USA vor einem Jahr.

Verdeckte atomare Aufrüstung

Auch der aktuelle Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes (Sipri) warnt angesichts der Entwicklungen in Nahost, aber vor allem auch wegen der Ost-West-Krise vor einer atomaren Entgleisung. Zwar ging die Zahl der Atomwaffen weltweit im vergangenen Jahr um knapp vier Prozent zurück. Dafür seien die Atommächte aber wieder stärker darauf aus, ihr Waffenarsenal zu modernisieren, heißt es in dem Bericht.

Laut Sipri laufen zudem bereits verdeckte Aufrüstungsprogramme. Nicht die Anzahl, aber die Effektivität der bestehenden Waffenarsenale wird sowohl von den USA als auch von Russland „mit umfassenden und teueren Programmen“ vorangepeitscht. Alte Atomsprengköpfe werden durch neue ersetzt. Trägerraketen und Flugzeugtransportsysteme sowie die Produktion in Atombombenfabriken werden derzeit in beiden Ländern verbessert. „Die Modernisierung läuft neben der Instandhaltung auch darauf hinaus, einen Teil der Atomwaffen praktisch einsetzbarer zu machen als bislang. Dazu werden Atomwaffen gebaut, die weniger unerwünschte Streueffekte haben, gezielter ihre Wirkung entfalten und einen geringeren atomaren Fallout mit sich bringen“, sagt Hans Kristensen gegenüber der „Presse“. Er ist Direktor der nuklearen Informationsabteilung des Verbands der Amerikanischen Wissenschaftler (FAS) und Sipri-Experte.

Zudem erwägt keine der neun Atommächte – USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea –, ihre Atomwaffenprogramme irgendwann abzuwickeln. Zwar ist die Anzahl der weltweit schlummernden Atomsprengköpfe von Anfang 2018 bis Anfang 2019 um 609 auf 13.856 Stück gesunken. Davon sind aber 3750 Atombomben schnell einsatzfähig, und bis zu 2000 können direkt per Knopfdruck abgefeuert werden.

Keine Folgeabkommen in Sicht

Die in den letzten Jahren langsam sinkende Anzahl von Atomsprengköpfen ist vor allem dem Abrüstungsabkommen New Start von 2010 zwischen den USA und Russland zu verdanken. Es läuft 2021 aus. Derzeit sieht es nicht so aus, als ob es ein Folgeabkommen geben wird. Zudem werden die USA den am 2. August 1987 noch von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterschriebenen Abrüstungsvertrag INF zum Verbot von landgestützten Atomraketen mit mittlerer Reichweite kündigen. Dies geschieht wegen mutmaßlichen Vertragsbruchs Russlands, das seinerseits ebenfalls einen Ausstieg aus dem Vertrag beschlossen hat.

Sipri warnt entsprechend vor einem Ende des Abrüstungszeitalters. „Die Aussichten auf einen Fortlauf von zwischen den USA und Russland verhandelten Atomwaffenbegrenzungsabkommen erscheint immer unwahrscheinlicher, im Hinblick auf die politischen und militärischen Meinungsverschiedenheiten beider Länder“, warnt Shannon Kile, Direktorin der Forschungseinheit für Atomwaffen. „Ab 2021 wird es zum ersten Mal seit den 70er-Jahren weltweit keinerlei Abrüstungsabkommen oder anderweitige Begrenzungen für Atomwaffen geben. Dann dürfen alle aufrüsten – wie und wo sie wollen“, sagt Experte Kristensen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2019)

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