Sturm auf Parlament in Hongkong

Die Polizei geht mit Tränengas gegen Demonstranten in Hongkong vor
Die Polizei geht mit Tränengas gegen Demonstranten in Hongkong vorREUTERS
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Die Proteste in der Finanzmetropole Hongkong eskalieren. Die Behörden haben nun einen Vorwand, hart durchzugreifen.

Hongkong. Mitternacht war vorbei, als Hongkongs Polizei in der Nacht zum Dienstag ihrerseits ihren Sturm auf das besetzte Parlament vorbereitete. Die Sicherheitskräfte gingen mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die großteils vermummten Demonstranten vor, sie räumten die notdürftig errichteten Barrikaden. Viele Demonstranten waren indessen bereits freiwillig aus dem Plenum abgezogen, das sie Stunden zuvor in einer Protestaktion okkupiert hatten.

Es war ein weiterer Akt in der Machtprobe gegen die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam und die Zentralmacht in Peking. Bereits am Morgen hatten einige vermummte Demonstranten versucht, sich gewaltsam Zugang zum Hongkonger Parlament zu verschaffen. Mit einem Metallwagen rammten sie eine Fensterfront, die zersprang. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Dennoch gelang es in den Nachtstunden Hunderten Aktivisten, in den Legislativrat einzudringen und den Parlamentssaal zu besetzen. Sie rissen Bilder von den Wänden, besprühten Wände – und boten den Behörden möglicherweise den Vorwand, hart durchgreifen zu können.

Die große Mehrheit der Demonstranten agierte friedlich. Massen marschierten durch das Hongkonger Zentrum und forderten den Rücktritt der Statthalterin Pekings. Es hatte einen Grund, warum der Protest diesmal besonders heftig ausfiel: Am Montag jährte sich zum 22. Mal die Übergabe Hongkongs an die kommunistische Volksrepublik. Mehr als 150 Jahre war die Metropole am Perlflussdelta britische Kronkolonie. Damals versprach die Führung in Peking den Hongkongern allerdings, dass sie für 50 Jahre eine Sonderverwaltungszone mit Rechten wie Meinungs-, Versammlungsfreiheit und einer unabhängigen Justiz bleiben würden. All das gilt im autoritär regierten China nicht. Viele Hongkonger sehen ihre Rechte bereits jetzt beschnitten.

Sanfte Töne von Regierungschefin Lam

Die Hongkonger Regierung begeht diesen Tag normalerweise mit einer Fahnenzeremonie im Freien. Doch am Montag verlegte sie den Festakt ins abgeriegelte Hongkonger Kongresszentrum. Offiziell begründeten die Behörden diesen Schritt mit schlechtem Wetter. In ihrer Rede anlässlich der Feierlichkeiten entschuldigte sich Lam für ihr Vorgehen, betonte aber, in guter Absicht gehandelt zu haben: „Ich werde meine Lektion lernen und sicherstellen, dass die künftige Arbeit der Regierung enger und besser auf die Bestrebungen, Gefühle und Meinungen der Gemeinschaft eingeht“, sagte Lam. Sie buhlte um die Gunst des Volkes.

Maßnahmen gegen Wohnungsnot

Denn Lam kündigte auch an, für mehr Wohnraum zu sorgen, das Bildungs- und Gesundheitssystem zu stärken. Hongkong gehört zu einer der teuersten Städte der Welt. Junge können sich mit ihren Gehältern die hohen Mieten oft nicht leisten und müssen bei ihren Eltern leben. Auch deswegen gehen viele junge Leute auf die Straße.

Seit Wochen erlebt die Stadt die größten Proteste seit drei Jahrzehnten. Bis zu zwei Millionen Menschen waren am 16. Juni auf die Straße gegangen, um gegen Regierungschefin Lam zu protestieren. Sie wollte ein Gesetzesvorhaben durchbringen, das Auslieferungen von mutmaßlichen Straftätern an Festlandchina ermöglicht hätte; allein der Verdacht hätte ausgereicht. Menschenrechts- und Demokratieaktivisten, kritische Anwälte und Journalisten, selbst Geschäftsleute müssten befürchten, an China ausgehändigt zu werden, wo die Justiz nicht unabhängig ist und teilweise mit Folter Geständnisse erzwungen werden. Anders als bei vergangenen Demokratieprotesten kritisierte selbst Hongkongs mächtige Businesswelt das Vorgehen der Regierungschefin.

Jubelchinesen herangekarrt

Das Auslieferungsgesetz hat sie zwar auf Eis gelegt, sich für das Vorgehen gar entschuldigt. Die Proteste aber halten an. Viele Hongkonger trauen ihr nicht und fordern, dass das Gesetz offiziell zurückgenommen wird. Zudem verlangen sie die Freilassung inhaftierter Mitglieder der Protestbewegung.

Inzwischen mobilisiert aber auch die Gegenseite. Am Sonntag kam es zu einer Demonstration für die Polizei, bei der nach Angaben der Organisatoren mehr als 100.000 Teilnehmer mitmarschierten. Sie werden dem Peking-freundlichen Lager zugerechnet, einige wedelten mit der Fahne der Volksrepublik. Hongkonger Journalisten berichten, es habe sich zum Teil um Zugereiste vom chinesischen Festland gehandelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2019)

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