Hongkong: Schlägertrupp attackiert Demonstranten, Kritik an der Polizei

APA/AFP/LAUREL CHOR
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45 Menschen werden verletzt, als Bewaffnete regierungskritische Demonstranten angreifen. Die Polizei soll tatenlos zugesehen haben. Nun wächst die Angst, dass sich chinesische Triaden in den Konflikt einmischen könnten.

Die Spannungen in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong eskalieren. Nach einem neuen Massenprotest in der Stadt am Sonntag ist es nicht nur zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen: Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um Aktivisten zu vertreiben, die Straßen blockierten. Für Aufregung sorgt die gewaltsamen Attacke eines Schlägertrupps auf Regierungskritiker.

An einem Bahnhof im Norden von Hongkong waren am Sonntagabend Demonstranten von Männern angegriffen worden, die mit Metallstangen und Holzstöcken bewaffnet waren. Dabei wurden 45 Menschen verletzt. Sechs Menschen erlitten schwere Verletzungen, einer von ihnen schwebte in Lebensgefahr.

Später wurden Männer gesehen, die den Ort in Autos mit Kennzeichen von Festland-China verließen. Der Bahnhof Yuen Long, an dem sich der Angriff zutrug, liegt unweit der Grenze zwischen Hongkong und Festland-China.

Polizei griff trotz Hilferufen nicht ein

Kritiker werfen der Polizei vor, trotz dramatischer Hilferufe der angegriffenen Demonstranten erst nach mehr als einer Stunde eingetroffen zu sein. Die Beamten nahmen die in weiße T-Shirts gekleideten Angreifer dann auch nicht fest, obwohl diese sich weiterhin in den Straßen nahe des Bahnhofs aufhielten.

Der bekannte Demokratie-Aktivist Nathan Law schrieb in der Nacht auf Montag im Kurzbotschaftendienst Twitter, wenn "chinesische Mobs" Bürger angreifen würden, greife die Polizei nicht ein. "Schande über die Regierung.“ Der bei der Attacke verletzte Abgeordnete Lam Cheuk Ting kritisierte die Beamten ebenfalls. Er machte für den Angriff Mitglieder krimineller chinesischer Banden, der sogenannten Triaden, verantwortlich.

Nun wachsen die Sorgen, dass sich die Triaden in die politische Auseinandersetzung in der chinesischen Sonderverwaltungszone einschalten könnten. Bereits 2014 hatte es gewaltsame Attacken auf Demonstranten der "Regenschirm"-Demokratiebewegung gegeben.

Demonstranten greifen Pekinger Vertretung an

Zu dem Zwischenfall kam es nach einem Protestmarsch, an dem nach Angaben der Organisatoren 430.000 Menschen teilgenommen hatten. Nach Schätzungen der Polizei sollen es nur 138.000 Teilnehmer gewesen sein. Demonstranten blockierten Straßen in der Nähe des Regierungssitzes und des Parlaments, die jeweils mit massiven, zwei Meter hohen Absperrungen abgesichert worden waren.

Erstmals richtete sich der Protest nicht mehr nur gegen die Hongkonger Regierung, sondern auch direkt gegen Pekings Vertretung: Nach dem Protestmarsch zogen Hunderte Menschen zum Verbindungsbüro der chinesischen Führung. Einige bewarfen das Gebäude mit Eiern und schwarzer Farbe. Auch das Emblem der Volksrepublik wurde beschmutzt.

Chinas Staatsmedien reagierten empört. "Das ist ein Aufruhr", schrieb die "Global Times". Das Verbindungsbüro verurteilte den Angriff als Herausforderung der Autorität der Pekinger Zentralregierung und des Grundsatzes "ein Land, zwei Systeme", nach dem die chinesische Sonderverwaltungsregion autonom mit eigenen Freiheiten regiert wird.

Polizei fand Waffenlager mit Sprengstoff

Im Vorfeld hatte die Polizei ein Waffenlager in einem Lagerraum einer Unabhängigkeitsgruppe gefunden. Die Polizei stellte zwei Kilogramm Sprengstoff, Brandsätze, Säure, Messer und Metallstangen sicher. Außer einem 27-Jährigen nahm die Polizei am Samstagabend zwei 25-Jährige fest. Die Ermittler untersuchten nach eigenen Angaben, ob ein Zusammenhang mit den Protestaktionen besteht.

Der Lagerraum war von der Hongkonger National Front gemietet worden, die für die Unabhängigkeit des chinesischen Territoriums eintritt. Die Gruppe beteuerte aber nach Medienberichten, nichts von dem Sprengstoff gewusst zu haben. Es seien dort nur Lautsprecheranlagen und Informationsmaterial gelagert worden. Der festgenommene 27-Jährige gehöre der Organisation an.

Auslieferungsgesetz als Auslöser der Proteste

Die frühere britische Kronkolonie kommt seit Wochen nicht zur Ruhe. Der Protest richtet sich gegen die Peking-treue Regierung und auch Chinas wachsenden Einfluss. Nach einer Demonstration am 1. Juli stürmten Aktivisten sogar das Parlament. Auslöser der Proteste war das inzwischen auf Eis gelegte Gesetz für Auslieferungen von Personen an China, die von der chinesischen Justiz beschuldigt werden.

Der Widerstand unter den sieben Millionen Hongkongern ist groß, weil Chinas Justiz nicht unabhängig ist und als Werkzeug der politischen Verfolgung dient. Auch warnen Kritiker vor Folter und Misshandlungen in China. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat den Gesetzentwurf seither ausgesetzt und für "gestorben" erklärt. Einen formellen Rückzug des Entwurfs, wie von den Demonstranten gefordert, lehnt sie aber ab.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird Hongkong unter chinesischer Souveränität autonom in eigenen Grenzen regiert. Anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik genießen die Hongkonger das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Immer mehr Hongkonger befürchten aber, dass die Führung in Peking ihnen ihre Rechte beschneiden will.

(APA/dpa)

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