Petition gegen Zwangspause des britischen Parlaments knackt Millionengrenze

An anti-Brexit protestor releases colored smoke, outside the Houses of  Parliament in London
An anti-Brexit protestor releases colored smoke, outside the Houses of Parliament in LondonREUTERS
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Mit einer Suspendierung des britischen Unterhauses will Boris Johnson die Abwendung eines harten Brexit verhindern. Hunderte demonstrierten gegen die Pläne - und unterzeichneten eine Petition.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit der von ihm verordneten Zwangspause des Parlaments einen Sturm der Empörung ausgelöst. Am Mittwochabend versammelten sich hunderte Menschen vor dem Parlament und dem Regierungssitz Downing Street in London, um gegen die Parlamentsschließung zu demonstrieren. Eine Online-Petition gegen die umstrittene Maßnahme knackte in der Nacht auf  Donnerstag bereits die Millionengrenze. Die Initiatoren verlangen, dass das Parlamentsgeschehen nicht unterbrochen wird, solange Großbritannien den Austritt aus der Europäischen Union nicht verschiebt oder seinen Austrittsantrag zurückzieht.

Das geht der Aktivistin und Geschäftsfrau Gina Miller nicht weit genug. Sie teilte mit, sie habe rechtliche Schritte gegen die Entscheidung eingeleitet. Miller hatte bereits 2017 ein Verfahren gegen die Regierung gewonnen, bei dem es um die Rechte des Parlaments bei der EU-Austrittserklärung ging.

Chefin der schottischen Konservativen überlegt Rücktritt

Auch in seiner eigenen Partei löste Johnson eine heftige Kontroverse aus. Medienberichten zufolge wollte die Chefin der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, noch am Donnerstag ihren Rücktritt bekannt geben. Auslöser für den Rückzug der Politikerin sollen demnach vor allem private Gründe sein, doch der Zeitpunkt gab Anlass für Spekulationen über einen tiefen Riss in der Partei: Davidson war Johnsons erbittertste innerparteiliche Rivalin im Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum 2016 und ist eine entschiedene No-Deal-Gegnerin. Sie galt einst als Hoffnungsträgerin der Tory-Partei.

Ob sich Johnson davon beeindrucken, respektive von seinen Plänen abbringen lässt, bleibt fraglich. Vielmehr konzentrierte er sich in den vergangenen Tagen auf die Konfrontation mit der EU mit der er vor allem hinsichtlich des sogenannten Backstop auf Kriegsfuß ist. Diese im Austrittsabkommen festgehaltene Klausel würde Großbritannien so lange an bestimmte EU-Regeln binden, bis eine andere Lösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gefunden ist. London sieht darin inakzeptable Fesseln. Das Austrittsabkommen scheiterte bereits drei Mal im Parlament.

Johnson rechtfertigt Zwangspause

Johnson rechtfertigte indes seine Entscheidung: Es bleibe genügend Zeit für alle nötigen Debatten, beschwichtigte er in einem Brief an alle Abgeordneten. "Wenn es mir gelingt, einen Deal mit der EU auszuhandeln, hat das Parlament die Gelegenheit, das zur Ratifizierung eines solchen Deals nötige Gesetz vor dem 31. Oktober zu verabschieden."

Parlamentspräsident John Bercow konnte dieser Argumentation allerdings wenig abgewinnen und sprach von einem "Frevel an der Verfassung". Der frühere Schatzkanzler und Parteifreund Johnsons, Philip Hammond, twitterte: "Zutiefst undemokratisch." Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen. Oppositionsführer und Labourchef Jeremy Corbyn kündigte trotz der Zwangspause einen Versuch an, den No-Deal-Brexit per Gesetz zu verhindern. Auch ein Misstrauensantrag gegen die Regierung will er "zu gegebener Zeit" einreichen. Ob sich dafür derzeit eine Mehrheit fände, ist ungewiss.

Auf einen Blick

Im Juni 2016 stimmten 52 Prozent der Briten für den Brexit. Die Austrittsverhandlungen starteten im März 2017. Der ursprüngliche Brexit-Termin 29. März 2019 konnte nicht gehalten werden, da es keine Einigung über den Brexit-Vertrag gab.

Premierminister Boris Johnson strebt nun einen harten Brexit am 31. Oktober an - sofern sich die EU nicht auf seine Forderung nach Änderungen am Austrittsabkommen einlässt.

Auf dem Weg dorthin hat er Queen Elizabeth am Mittwoch um Erlaubnis ersucht, das Parlament von 10. September bis 14. Oktober zu beurlauben. Sie gab dem Antrag statt. Dem Parlament - das nächste Woche nach seiner Sommerpause erstmals zusammenkommt - bleibt damit nur noch ein Zeitfenster von wenigen Tagen, um einen EU-Austritt ohne Abkommen per Gesetz zu verhindern.

(APA/dpa/Red.)

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