Ein Tory-Abgeordneter kündigte vor einer kritischen Abstimmung an, zu den Liberaldemokraten zu wechseln. Die Gegner von Regierungschef Johnson wollen ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit zur Abstimmung bringen.
Es ist einer dieser Tage im britischen Unterhaus des Parlaments. Einer dieser Tage, an dem interessierte Brexit- und Politik-Beobachter gespannt einer Abstimmung entgegenblicken. Denn das Unterhaus kommt am Dienstag zu einer Sitzung aus der Sommerpause zurück. Und während sich Regierungschef Boris Johnson und Oppositionschef Jeremy Corbyn ein offenes Rhetorik-Gefecht lieferten, wurde bekannt: Johnson hat die absolute Mehrheit im Unterhaus verloren. Denn der Tory-Abgeordnete Philip Lee wechselte von Johnsons konservativer Partei zu den pro-europäischen Liberaldemokraten. Die Koalition aus Tories und nordirischer DUP hatte zuletzt nur mehr eine Mehrheit von einer Stimme gehabt. In den Reihen der Tories mehrte sich Widerstand gegen Johnsons Konfrontations-Kurs.
Vor den angekündigten Manövern der Opposition und von Rebellen aus der Regierungspartei, die den Brexit-Kurs der Regierung ändern wollen, befassen sich die Abgeordneten zunächst mit außenpolitischen Fragen. Auch Premierminister Boris Johnson hielt eine Rede, in der der über die Ergebnisse des G7-Gipfels informierte - aber auch über die laufenden Verhandlungen mit der EU sprach. So nannte er die Wahrscheinlichkeit eines Deals als „wachsend“, was die Opposition mit lauten Zwischenrufen skeptisch bis höhnend kommentierte. Den „Backstop“ nannte Johnson einmal mehr „undemokratisch“. Dass es nun Bewegung bei den Verhandlungen gebe, habe auch damit zu tun, dass seine Regierung klar gemacht habe, dass sie am 31. Oktober aus der EU austreten werde - zur Not auch ohne Deal. „Wir werden bereit sein“, so Johnson. Der G7-Gipfel sei ein positives „Momentum“ gewesen, er habe vor, einen weiteren Fortschritt beim anstehenden EU-Gipfel zu erreichen und mit einem Deal zurückzukehren. „Ich werde nie die Kontrolle über die Verhandlungen abgeben, in der Art, wie es der Oppositionsführer anstrebt“, kritisierte Johnson Tory-Chef Jeremy Corbyn direkt.
Corbyn forderte Johnson auf, offenzulegen, was die angeblichen Fortschritte in den Verhandlungen sein sollte. Die EU-Verhandler hätten klar gemacht, dass die britische Regierung keinerlei neuer Ansätze in der Lösung der irischen Grenzfrage vorgelegt. Er sprach von einer „Regierung der Feiglinge“ ("Gouvernment of Cowards").
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Debatte ab 18 Uhr, Abstimmung in der Nacht möglich
Um den Brexit geht es eigentlich erst später: 18 Abgeordnete haben wie erwartet eine Dringlichkeitsdebatte über den Austritt Großbritanniens aus der EU beantragt. Sie wollen mit einem Gesetzgebungsverfahren beginnen, um einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Oktober zu verhindern. Die Regierung ist strikt dagegen.
Vermutlich erst nach 19 Uhr österreichischer Zeit sollte über den Antrag debattiert werden. Mit diesem Manöver wollen die Abgeordneten die Kontrolle über die Tagesordnung für Mittwoch an sich reißen, um dann ein Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit im Schnellverfahren durch das Unterhaus zu peitschen. Mit einer Abstimmung darüber am Dienstag wird erst gegen 23 Uhr MESZ gerechnet. Sollten sich die Rebellen mit ihrem Plan durchsetzen, hat die Regierung bereits angekündigt, eine Neuwahl herbeiführen zu wollen. Ob ihr das gelingt, ist jedoch ungewiss.
Der Handlungsdruck für die No-Deal-Gegner ist enorm, weil Johnson dem Parlament eine mehrwöchige Zwangspause verordnet hat, die bereits in der nächsten Woche beginnt. Die Abgeordneten sollen dann erst wieder am 14. Oktober zurückkehren.
(APA/dpa)