"Konflikt zwischen Familie und Nation": Boris Johnsons Bruder legte seine Ämter zurück

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Jo Johnson will angesichts des Brexit-Kurses seines älteren Bruders nicht mehr als Staatssekretär und Parlamentarier für die Konservativen arbeiten. Am Montag soll erneut über Neuwahlen abgestimmt werden.

Der britische Premierminister Boris Johnson gerät wegen seines kompromisslosen Brexit-Kurses immer stärker unter Druck. Nicht nur vonseiten des britischen Unterhauses, das seinen Plänen am Mittwoch gleich eine doppelte Abfuhr erteilte. Sondern auch aus den eigenen Reihen: Am Donnerstag legte sein jüngerer Bruder, Jo Johnson, sein Amt als Staatssekretär und auch sein Mandat als Parlamentsabgeordneter für die konservativen Torys nieder.

"Ich war in den vergangenen Monaten zerrissen zwischen Loyalität zur Familie und dem nationalen Interesse - es ist eine unauflösbare Spannung", begründete Jo Johnson den Schritt per Kurznachrichtendienst Twitter. Jo Johnson gilt als Gegner eines ungeregelten Brexit und Befürworter eines zweiten Referendums über den britischen EU-Austritt, während sein älterer Bruder Boris Johnson den Ausstieg mit oder ohne Abkommen vollziehen will.

Der Premierminister hatte zuvor 21 Tory-Rebellen aus der Fraktion geworfen, die im Streit um seinen Brexit-Kurs gegen die eigene Regierung gestimmt hatten. Darunter so prominente Mitglieder wie den Alterspräsidenten und ehemaligen Schatzkanzler Ken Clarke und den Enkel des Kriegspremiers Winston Churchill, Nicholas Soames.

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Doppelte Abfuhr für Johnson im Unterhaus

Am Mittwoch hatten die Abgeordneten im britischen Unterhaus Johnsons Brexit-Pläne gleich doppelt durchkreuzt: Sie hatten für eine Verschiebung des Brexit-Termins am 31. Oktober gestimmt, sollte es kein Abkommen mit der EU geben. Für Johnson, der bereits seine Mehrheit verloren hat, ist das eine erneute herbe Niederlage. Das Gesetz verpflichtet ihn nun, den Brexit bis zum 31. Januar 2020 zu vertagen, falls er vorher kein Abkommen über den Ausstieg aus der EU erreicht hat.

Der Gesetzentwurf muss noch vom Oberhaus angenommen werden. Die Regierung hat aber bereits angekündigt, ihren Widerstand gegen das Gesetzesvorhaben in der Parlamentskammer aufzugeben. Mit der Billigung durch Königin Elisabeth tritt es in Kraft. Dieser Schritt wurde für Montag erwartet.

Johnson wiederholte Absage für Brexit-Aufschub

Johnson bekräftigte am Donnerstagabend abermals, dass er keinen Aufschub des Brexit-Datums über den 31. Oktober hinaus wolle. "Lieber wäre ich tot und begraben", antwortete er in West Yorkshire auf die Journalistenfrage, ob er ausschließe, dass er in Brüssel um eine Fristverlängerung ansuchen werde. Seinen Rücktritt schloss er ebenfalls aus. Er wolle das Mandat erfüllen.

Sollten die Briten tatsächlich länger als bis Ende Oktober in der EU bleiben wollen, sollten sie dies in einer Wahl kundtun, erklärte Johnson. Der einzige Ausweg aus der Krise sei eine Neuwahl. "Ich will keine Wahl, aber ich sehe keine andere Wahl." Johnson wiederholte, einen Urnengang für den 15. Oktober anzustreben.

Neuer Anlauf im Parlament

Gleichzeitig hatten die Parlamentarier am Mittwoch Johnsons Wunsch abgeschmettert, bereits am 15. Oktober und damit noch vor dem Brexit-Termin am 31. Oktober das Parlament neu zu wählen. Die Forderung nach Neuwahlen will Johnson allerdings nicht aufgeben, sagte der Sprecher des konservativen Regierungschefs am Donnerstag. Es sei eindeutig der einzige Weg, dem Volk die Möglichkeit zu geben, zu entscheiden, was es wolle. Am kommenden Montag nimmt Johnson nun einen neuen Anlauf im Parlament, um eine Neuwahl durchzusetzen. Das teilte Jacob Rees-Mogg am Donnerstag in London mit. Der Tory-Abgeordnete ist als Vorsitzender des Unterhauses für den Parlamentskalender zuständig.

Johnson will am 15. Oktober wählen lassen, um dann zwei Tage später beim EU-Gipfel mit einem Mandat für seinen kompromisslosen Brexit-Kurs zu erscheinen. Bei einem ersten Versuch am Mittwoch war Johnson mit seinem Antrag krachend im Parlament durchgefallen. Er hätte dafür eine Zweidrittelmehrheit benötigt, die er aber bei weitem verfehlte

Finanzminister Sajid Javid sprach von einem "Gesetz der Kapitulation". Nun müsse es eine Neuwahl geben. Er zeigte sich trotz der Turbulenzen zuversichtlich, dass es der Regierung gelingen werde, mit der EU eine neue Vereinbarung auszuhandeln und diese vor dem 31. Oktober durchs Parlament zu bringen. "Wir können den Brexit nicht noch einmal verschieben", sagte Javid. Die Regierung wolle weiterhin die Europäische Union zum 31. Oktober verlassen - mit oder ohne Abkommen. Sollte Großbritannien ohne eine Vereinbarung austreten, sei man in der Lage, die meisten Auswirkungen eines No-Deal-Brexits zu mildern.

Firmen bereiten sich auf No-Deal-Brexit vor

Allerdings zeigt sich bereits jetzt, dass die britische Wirtschaft - die fünftgrößte weltweit - schwächelt und in eine Rezession rutschen könnte. Die Industrieproduktion ist einer Umfrage des Handelsverbandes Make UK zufolge im Abschwung, da Aufträge und Investitionen wegen der weltweiten Konjunkturflaute und des Brexits ausbleiben.

Um sich auf die wirtschaftlichen Folgen eines "No-Deal"-Ausstiegs vorzubereiten, haben Unternehmen dem britischen Wirtschaftsverband zufolge bereits Investitionen in Milliardenhöhe aus Vermögensanlagen abgezogen. "Bis eine Vereinbarung getroffen ist, werden die Unternehmen weiter Milliarden Pfund aus Investitionen in die Produktion abziehen und stattdessen in No-Deal-Vorbereitungen stecken", sagte die Vorsitzende des Wirtschaftsverbandes, Carolyn Fairbairn. Zudem stellten internationale Investoren weiterhin infrage, ob Großbritannien ein stabiler, offener Ort für den Handel sei.

Die Briten hatten sich 2016 in einem Referendum für den Austritt ihres Landes aus der EU ausgesprochen. Johnsons Vorgängerin Theresa May hat mit der EU einen Brexit-Vertrag ausgehandelt. Dieses Abkommen wird allerdings wegen der Regelungen zur Gestaltung der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland ebenso von Johnson wie zuletzt auch von einer Parlamentsmehrheit abgelehnt. Die EU will den Vertrag nicht wieder aufschnüren.

(APA/Reuters)

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