Demonstrationen

Hongkong: Regierung will Gesichtsmasken verbieten, um Proteste einzudämmen

APA/AFP/PHILIP FONG
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In einer Sondersitzung des Kabinetts könnte Regierungschefin Lam ein Vermummungsverbot durchpeitschen. Die Polizei fordert die Verhängung einer Ausgangssperre.

Die Hongkonger Regierung will ein Vermummungsverbot einführen, um die zuletzt immer gewalttätigeren Demonstrationen in der chinesischen Sonderverwaltungszone einzudämmen. Die Regierung plane ein Verbot von Masken bei öffentlichen Versammlungen, sagte der oppositionelle Abgeordnete Ted Hui und bestätigte damit entsprechende Medienberichte.

Nach Einschätzung des Oppositionsabgeordneten wird Regierungschefin Lam ein entsprechendes Gesetz möglicherweise dem Legislativrat zur Annahme vorlegen. Da das peking-freundliche, nicht frei gewählte Parlament aber seit Wochen immer wieder belagert wird und das Vermummungsverbot bald in Kraft treten soll, könnte die Regierung auch ein fast ein Jahrhundert altes Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit bemühen.

Die Regierungschefin hat nach Medienberichten ihr Kabinett für Freitag zusammengerufen. Wie die Zeitung "South China Morning Post" und der Fernsehsender TVB berichteten, könne dann schon die Notstandsermächtigung aktiviert werden. Ein solcher Schritt wäre eine höchst umstrittene Verschärfung des Vorgehens der Regierung in der seit Monaten anhaltenden Krise.

Neue Gewalteskalation

Nachdem ein junger Demonstrant am Dienstag von einem Polizisten angeschossen worden war, hat sich die Wut der regierungskritischen Demonstranten am Donnerstag einmal mehr in Gewalt entladen: In den frühen Morgenstunden kam es zu Straßenschlachten in der Hafenmetropole. Die Protestierenden warfen Benzinbomben, errichteten Straßenblockaden und verwüsteten Geschäfte und U-Bahn-Stationen. Die Polizei setzte Tränengas ein.

An den neuen Demonstrationen nahmen tausende Menschen teil. "Wo immer es Proteste in der Nähe gibt, werde ich kommen", sagte der Innenarchitekt Alex Chan im geschäftigen Einkaufsviertel Causeway Bay. "Ich bin heute aus einem einfachen Grund hier: Du schießt nicht auf einen Teenager aus nächster Nähe", sagte er. "Diese Proteste werden weitergehen, und wir werden nicht aufgeben."

Polizei: „Können nicht arbeiten“

Der 18 Jahre alte Schüler war am Dienstag bei schweren Zusammenstößen von einem Polizisten angeschossen worden. Sein Zustand ist mittlerweile stabil. Es war das erste Mal, dass ein Demonstrant bei den seit Monaten anhaltenden Protesten durch scharfe Munition verletzt wurde. Die Polizei argumentierte, der Beamte habe Angst um sein Leben gehabt, als der junge Mann auf ihn losgegangen sei.

Während der Vorfall die Wut der Demonstranten auf die Polizei verstärkt hat, weisen die Sicherheitskräfte die Schuld von sich. Die Polizei erklärte am Donnerstag, die Taten der Demonstranten hätten "die öffentliche Ordnung ernsthaft untergraben" und bedrohten "die persönliche Sicherheit von Polizeibeamten und Mitgliedern der Öffentlichkeit".

Die Polizeigewerkschaft forderte daher die Verhängung einer Ausgangssperre. "Wir erleben eine Serie derart massiver Tumulte, dass wir nicht arbeiten können (...) ohne angemessene Maßnahmen und Unterstützung von höchsten Stellen", sagte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Junior Police Officers Association, Lam Chi-wai, am Donnerstag.

Bisher 2000 Menschen inhaftiert

Die seit fünf Monaten anhaltenden Demonstrationen waren am Dienstag zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik eskaliert. Erstmals wurde ein Demonstrant, ein 18-Jähriger Student, angeschossen. Rund Hundert wurden verletzt. 269 Menschen wurden festgenommen - soviel wie nie zuvor an einem Tag. Seit Ausbruch der Proteste sind damit rund 2000 Menschen festgenommen worden.

Meist vermummte Aktivisten hatten Straßen blockiert, warfen Pflastersteine und Brandsätze. Die Beamten setzen Tränengas, Schlagstöcke, Gummigeschosse und Wasserwerfer ein. Zu solchen Ausschreitungen kommt es immer wieder nach friedlichen Märschen, die aber immer häufiger auch nicht mehr genehmigt werden.

Die Protest richten sich gegen die eigene Regierung und den langen Arm der kommunistischen Führung in Peking. Die Demonstranten fordern eine unabhängige Untersuchung von Polizeigewalt, einen Straferlass für die Festgenommenen, eine Rücknahme der Einstufung ihrer Proteste als "Aufruhr" sowie freie Wahlen.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie mit einem eigenen Grundgesetz nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" autonom regiert. Die Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.

(APA/AFP/Reuters/red.)

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