Ägypten: Revolutionäre halten Druck auf Armee aufrecht

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Hunderttausende Menschen feierten am Freitag auf Kairos Tahrir-Platz den „Tag des Sieges“. Sie forderten eine neue Übergangsregierung und eine Untersuchung darüber, wer für die Todesopfer verantwortlich ist.

Kairo. „Du musst dir mal deine Haare schneiden lassen“, meint ein Offizier am Eingang zum Tahrir-Platz zu einem Jugendlichen mit einer Afrolook-Frisur. Der sieht ihn verblüfft an, bevor der Offizier in Lachen ausbricht und noch ein blumig-arabisches „Der Platz ist von dir erleuchtet“ nachsetzt. Die Atmosphäre zwischen Demonstranten und Militärs ist entspannt. Es herrscht Volksfeststimmung in Rot-Weiß-Schwarz, den ägyptischen Nationalfarben, die als Stirnbänder, Flaggen und Mützen feilgeboten werden. Manche haben sich auch einfach die passenden Kleidungsstücke in patriotisch-revolutionärer Farbgebung angezogen.

Beim gestrigen Freitagsgebet wurde es eng auf dem Platz. Hunderttausende knieten nach einer Predigt, in der auch den Tunesiern gedankt wurde, die Tür geöffnet zu haben, zum Gebet nieder. Noch immer strömten neue Menschen auf den Platz. Die Predigt wurde vom einflussreichen Fernsehscheich Youssef Al-Qaradawi gehalten, der erklärte, dass „Unrechtmäßiges niemals die Wahrheit besiegen kann“. Er gratulierte der Jugend. Sie wisse, dass die Revolution bis zur Entstehung eines neuen Ägyptens nicht zu Ende sei.

Nach dem Gebet wurde der Platz zu einem rot-weiß-schwarzen Fahnenmeer mit einem neuem Ruf. Statt „Das Volk will den Sturz Mubaraks“ heißt es nun „Das Volk will eine Änderung des Systems“ – eine klare Ansage an die ägyptische Militärführung, mehr in Richtung Reformen zu unternehmen.

Verfassung wird umgeschrieben

Eine Reihe von Jugendgruppen erklärte, dass der Rücktritt des Diktators Hosni Mubaraks erst der Anfang sei und dass die meisten der revolutionären Ziele nun durchgesetzt werden müssten. Den Jugendlichen fehlt aber bisher die politische Organisation, sie wollen nicht von bestehenden Oppositionsparteien vereinnahmt werden.

Das Militär ist den Demonstranten in einigen Belangen entgegengekommen: Es hat das verhasste durch massiven Wahlbetrug gewählt Parlament aufgelöst und die auf Mubarak maßgeschneiderte Verfassung ausgesetzt. Nun sollen zunächst sechs Artikel der Verfassung umgeschrieben werden. Fünf betreffen das Sicherstellen freier und fairer Wahlen, ein Artikel, der Anti-Terror-Paragraf, setzt de facto alle bürgerlichen Rechte außer Kraft. Außerdem hat das Militär am Donnerstag vier hochrangige, ehemalige Minister verhaften lassen, darunter den verhassten einstigen Innenminister Habib Adli.

Aber die Demonstranten fordern mehr. Sie wollen, dass alle Vertreter des alten Regimes aus allen Schaltstellen des Staates entfernt werden. Die Koalition der Revolutionären Jugend, ein loses Bündnis der Gruppierungen, die den Aufstand vor ein paar Wochen angezettelt hatten, fordert auch, dass die gegenwärtige, noch in den letzten Tagen Mubaraks eingesetzte Regierung möglichst schnell durch eine neue Übergangsregierung ersetzt wird. Außerdem wollen sie eine Untersuchung, wer für die im Aufstand Umgekommenen verantwortlich ist. Sie verlangen ein Ende des seit Jahrzehnte geltenden Ausnahmezustandes und haben sich auch den Forderungen zahlreicher Streiks angeschlossen, die in den letzten Tagen überall im Land ausgebrochen sind.

Zehn Milliarden Einbußen

Die Börse und die Banken sind von dem Aufstand schwer angeschlagen. Auch 1500 Mitarbeiter der Suezkanalbehörde streiken derzeit für bessere Gehälter. Ein Regierungsbericht schätzt die Verluste im Tourismus auf zehn Milliarden Dollar. Mit einer neuen Kampagne versuchten die Demonstranten auf ihrem „Siegesmarsch“ entgegenzusteuern: Sie trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Unterstützt die Freiheit – besucht Ägypten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2011)

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