Google und Facebook fallen türkischer Zensur zum Opfer

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Betreiber türkischer Internetcafés müssen ab sofort verpflichtend einen speziellen Filter einbauen, die eine Million Websites blockieren. Ende August schlägt die Online-Zensur auch in Privathaushalten zu.

Istanbul. In der Türkei sind ab sofort eine Million Internetseiten gesperrt: Alle Internetcafés im Land müssen verpflichtend einen speziellen Filter verwenden, der eine Fülle an Websites blockiert. Dazu zählen: Google, BBC, Facebook, eBay, Amazon und die Seite des türkischen Menschenrechtsvereins. Sie sind einfach nicht mehr erreichbar.

Teilweise gesperrt wurde die englischsprachige Version der freien Internetenzyklopädie Wikipedia. Dort ist das Stichwort „Kurdish People“ nicht zu erreichen. Auch Seiten, die Bademoden anbieten, können nicht mehr aufgerufen werden. Vereine von Schwulen und Lesben sind ebenfalls gesperrt sowie eine Reihe von Firmen – wie eine Seite, die Autos der Marke Peugeot zum Verkauf anbietet.

Yaman Akdeniz, Experte für Internetrecht an der Bilgi Universität in Istanbul, hebt hervor, dass auch Seiten blockiert werden, die nicht unter das ohnehin restriktive Gesetz zur Sperrung von Internetseiten fallen. Die Bürokraten sperrten also nach Gutdünken: „Das Filtern ist eine willkürliche Verwaltungspraxis und eine Zensur, anders kann man das gar nicht beschreiben.“

Der neue Filter für Internetcafés gibt einen Vorgeschmack auf das, was dem gesamten türkischen Netz ab 22. August droht. Dann tritt nämlich eine Verordnung in Kraft, die jeden Nutzer dazu zwingen wird, einen von vier Filtern zu gebrauchen. Zur Auswahl stehen „Kind“, „Familie“, „Inland“ und „Standardpaket“. Dagegen wurde bereits in den vergangenen Wochen in mehr als 30 Städten heftig protestiert. Sah es zunächst so aus, als würde die Regierung einlenken, wurde jegliche Hoffnung mit den speziellen Internetcafé-Filtern vollends zerstört.

„Nichts wird sich ändern“

Indessen wird der Vorsitzende der für die Filter zuständigen Kommission für Wissen und Kommunikation (BTK), Tayfun Acar, nicht müde zu erklären, dass sich doch gar nichts ändern werde. Mit dem Standardpaket werde man alle Websites erreichen können, die man heute auch erreichen kann. Warum der Gebrauch der Filter dann nicht freiwillig und im Fall des Standardpaketes nicht eigentlich überflüssig sei, erklärt das aber nicht.

Eine weitere offene Frage bleibt, was das Paket „Familie“ bedeutet. In traditionellen Lokalen in Anatolien gibt es einen „Familiensalon“: Das ist der Teil des Lokals, in dem die Frauen sitzen, möglichst ohne Blickkontakt zum übrigen Teil des Lokals. Offenbar soll das türkische Internet nun auch so einen „Familiensalon“ bekommen. Statt der mit dem Internet normalerweise verbundenen Weltoffenheit kommt nun scheinbar die Rückkehr ins anatolische Dorf.

Explosion in belebtem Geschäftsviertel

Istanbul. In Istanbul wurden am Donnerstag sieben Menschen bei einem Bombenanschlag zur Hauptverkehrszeit in einem belebten Geschäftsviertel sieben Menschen verletzt. Der Sprengsatz war an einem Elektrofahrrad angebracht und detonierte in der Nähe einer Polizeischule. Keiner der Verletzten schwebt in Lebensgefahr. Noch sind die Hintergründe unklar. Vertreter der Regierungspartei vermuten, dass hinter dem Anschlag kurdische Separatisten stehen. In wenigen Wochen finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Experten erwarten, dass die AKP-Partei unter Ministerpräsident Tayyip Erdoğan zum dritten Mal in Folge als stärkste Kraft hervorgeht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2011)

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