Selten waren österreichische Behörden so unbürokratisch

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Österreich fehlte der politische Wille, die Auslieferung des KGB-Mannes Golowatow nach Litauen genauer zu prüfen. Diesmal ließ man die Justiz lieber ungestört arbeiten.

Leitartikel

Michail Golowatow war in Österreich bis vor Kurzem nur ganz wenigen Baltikum-Spezialisten ein Begriff. In Litauen aber kennt ihn jeder. Denn der ehemalige russische KGB-Oberst war Kommandant der Sondereinheit Alpha, die am 13. Jänner 1991 den Fernsehturm in der litauischen Hauptstadt, Vilnius, stürmte. 14 Menschen, die sich schützend vor das Rundfunkzentrum gestellt hatten, starben bei dem Angriff, mit dem die abtrünnige Republik gewaltsam in der zerfallenden Sowjetunion gehalten werden sollte.

Der „Blutsonntag“ ist ein Schlüsseldatum in der jüngeren Geschichte Litauens, integraler Bestandteil des Gründungsmythos des kleinen Staates.

Der historische Hintergrund ist wichtig, um zu verstehen, wie emotional (und vielleicht auch innenpolitisch motiviert) die Litauer nun darauf reagieren, dass Österreich einen der mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für das Massaker von Vilnius nach nicht einmal 24 Stunden einfach laufen ließ. Die österreichischen Behörden agierten unbürokratisch, wie man das in anderen Fällen oft schmerzlich vermisst. Der zuständigen Staatsanwaltschaft in Korneuburg war der Europäische Haftbefehl gegen Golowatow, der am Donnerstag auf dem Flughafen Wien-Schwechat festgehalten worden war, nicht konkret genug.

Einen seltsamen Nachgeschmack hinterlässt, warum Österreich den Litauern kaum Zeit ließ, um Informationen nachzureichen. Zwei Tage lang hätte man Golowatow nach österreichischem Recht festhalten können, um den Tatverdacht zu überprüfen. Doch die Staatsanwaltschaft hat nicht einmal diese 48 Stunden ausgeschöpft. Dazu mag eine gewisse Unfähigkeit der litauischen Stellen beigetragen haben. Nach Auskunft des Justizministeriums schickte die Staatsanwaltschaft in Vilnius die Anklageschrift gegen Golowatow zunächst auf Litauisch. Eine englische Version hätte sie erst nach Ablauf der 48-Stunden-Frist nachliefern können. Dafür, wie wichtig der Fall für das Land ist, war Litauen erstaunlich schlecht vorbereitet.

Die österreichischen Behörden vermitteln jedoch in keiner Phase den Eindruck, dass ihnen der Fall Golowatow ein Anliegen gewesen sein könnte. Es bleibt fraglich, ob der Tatverdacht tatsächlich nicht ausreichend begründet war. Ein Blick ins Geschichtsbuch oder auch nur in einen Wikipedia-Eintrag hätte genügt, um zu sehen, dass Golowatow Kommandant der Einheit war, die das Blutbad in Vilnius anrichtete.

Formal wäre ein anderes Argument stärker gewesen. Und man wundert sich, warum es die auslieferungsunwilligen Österreicher nicht gleich betont haben. Die Republik hat schon vor Längerem eine Opting-out-Möglichkeit genützt: Straftaten vor dem 7.August 2002 sind vom EU-Haftbefehl ausgenommen. Österreich ist demnach im Streit mit Litauen im Recht, wie die zuständige EU-Kommissarin, Viviane Reding, am Dienstag ausdrücklich festhielt. Doch es bleibt, wie sie ebenso hinzufügte, immer noch eine politische Dimension. Die österreichische Justiz war nicht verpflichtet, Golowatow auszuliefern, aber gehindert hätte sie auch nichts daran. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die man Golowatow in Litauen zum Vorwurf macht, verjähren nicht.

Im Endeffekt putzen sich alle bei der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft Korneuburg ab. Das Justizministerium teilt mit, dass es nur als „Übermittlungsbehörde“, also quasi als Postamt, agiert habe. Und Außenminister Spindelegger betont bei jeder Gelegenheit, dass der Rechtsstaat seinen unabhängigen Lauf genommen habe. Letztlich sind wahrscheinlich alle glücklich, dass es nicht anders kam. Man stelle sich die Aufregung in Moskau vor, wenn Österreich einen russischen Staatsbürger nach Litauen ausgeliefert hätte.

Es gibt keinen Beleg dafür, dass Russland intervenierte. Spindelegger streitet dies auch ab. Eher könnte es sich um einen Fall eines internalisierten vorauseilenden Gehorsams handeln. Diesen Vorwurf muss sich aber viel eher noch Finnland, das Golowatow ein Schengen-Visum ausgestellt hat, gefallen lassen, ebenso wie Tschechien und Zypern, die den Russen ungehindert einreisen ließen. Auf der Strecke geblieben ist dieser Tage in der EU vor allem eines: die Gerechtigkeit.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2011)

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