Der Bundeskanzler hofft auf "Verständnis" in Litauen. Wie wichtig Moskau war, dass der ehemalige KGB-Offizier Golowatow nicht ausgeliefert wird, zeigen die ungewöhnlichen Aktionen des russischen Botschafters.
Moskau. Die Freilassung des russischen Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow durch Österreich bringt die Regierung auch weiter in Verlegenheit. Am Freitag lehnte Bundeskanzler Werner Faymann eine etwa von der FPÖ geforderte Entschuldigung bei Litauen, das den Haftbefehl ausgestellt hatte, ab. „Wenn man sieht, wie die Entscheidung gefallen ist, wird man beim Partner auf Verständnis stoßen“, betonte er Richtung Litauen. „In Österreich hat eine unabhängige Behörde unabhängig entschieden.“
Das stimmt schon insofern nicht, als die zuständige Staatsanwaltschaft weisungsgebunden ist. Dass der russische Botschafter Sergej Netschajew dem Außenministerium überdies „mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen“ gedroht und so Golowatow freigepresst hatte, behauptete gestern Grünen-Sprecher Peter Pilz. Als wichtigsten Zeugen nennt er Golowatow selbst, der in einem Interview vom Vortag in der Tat eine massive Einmischung Netschajews bestätigte.
Dass ein Botschafter selbst in die Spur geht und die ganze Nacht der Festnahme über sogar auf dem Flughafen zubringt, gilt als höchst ungewöhnlich, wie Beamte im Gespräch zugeben. Das sei nicht einmal bei der politisch heiklen Festnahme des russischen Geheimdienstlers Wladimir Woschschow 2007 passiert. Und auch nicht in den 1990er-Jahren, als die österreichischen Beamten den russischen Spion Trisejev sogar aus dem juristisch exterritorialen Bereich eines abflugbereiten Flugzeuges zur Einvernahme holten.
Mängel im Informationssystem
Experten fragen dennoch, wie ernsthaft es Litauen um die Fahndung war, weil Golowatow im Unterschied zu etwa exjugoslawischen Kriegsverbrechern nicht in das System von Europol oder das der europäischen Geheimdienste eingetragen worden war. Finnland jedenfalls, wohin die österreichische Justiz den Ball spielen will, kann die 2009 erfolgte Ausstellung des Schengen-Visums an Golowatow nicht vorgeworfen werden, weil der Haftbefehl erst 2010 in das Schengen-Informationssystem (SIS) eingetragen wurde.
Die Schwächen dieses Systems sind größer, als der aktuelle Fall zeigt. Knackpunkt ist die uneinheitliche lateinische Transliteration fremdsprachiger Namen. So kann es leicht passieren, dass die Umschrift im Visum von der im Haftbefehl divergiert. Allein der relativ einfache Name Golowatow kann auf vier Arten transliteriert werden – Golovatov, Golowatow, Golowatov, Golovatow. Heikler schon ist ein Name wie „Julija Tschapurowa“, die in der englischen Norm bereits als „Yulia Chapurova“ daherkommt. Weil nun das SIS nur zeichenweise funktioniert, erhält der Grenzbeamte nur die im Visum und Pass eingetragene Schreibvariante ausgespuckt. Andere Systeme hingegen wie etwa die kriminalpolizeiliche EKIS werfen automatisch viele Schreibvarianten aus. Der Nachteil: Der Beamte muss zeitaufwändig aus der Trefferquote selektieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2011)