Litauen spottet über Österreich. Dürfen die denn das?

Die Wiener Variante des Karikaturenstreits enthüllt Unglaubliches: Dieses Land kann unbürokratisch und ziemlich flexibel sein.

Manche Länder Europas sind, das muss ich leider eingestehen, noch immer weiße Flecken auf meiner inneren Landkarte. Wenn es um das Baltikum geht, weiß ich, dass es irgendwo zwischen Polen, Russland und dem sympathischen Finnland liegt, aber fragen Sie mich nicht, in welcher Reihenfolge Estland, Lettland und Litauen dort oben im Nordosten aufgefädelt sind oder gar, wie man die Hauptstädte Tallinn (manche nennen es Reval), Riga und Vilnius akzentfrei zuordnet.

Letztere Metropole könnte man je nach gerade herrschender Meinung auch Wilna, Wilno, Vilnja oder Wilne nennen, sogar die Russen haben einen eigenen Namen auf Kyrillisch für diese Gegend, der mir leider entfallen ist. Aber das erleichtert den korrekten Umgang mit dem kleinen, unabhängigen Staat Litauen auch nicht gerade.

Und jetzt sind noch weitere Komplikationen dazugekommen. Baltische Medien machen sich über Österreich lustig, weil unsere Behörden wenig Engagement bei der Aufklärung eines Verbrechens gezeigt haben. Sie ließen einen KGB-Mann laufen, der 1991 die Blutnacht von Vilnius inszeniert haben soll, in der Phase der Ablösung der baltischen Staaten von der Sowjetunion. Diverse Gazetten stellen nun Österreich als hündischen Stiefellecker bei Hitler und Putin dar, als verschreckten Adler in den Klauen des russischen Bären oder gar als Bewohner des russischen Mastdarms.

Wenn die Kronen Zeitung und die U-Bahn-Gazette Heute wegen dieses Themas in heller Aufregung sind, dann kann man bereits von einer Haupt- und Staatsaktion sprechen. „So wüst beschimpfen uns jetzt die Litauer“, klagt Heute. Die Krone verspricht im Angesicht der „hysterischen Wut“, dass von nun an „zurückpolemisiert“ werde. Gerade die Litauer seien doch Hitlers willigste Vollstrecker gewesen.

Wie also werden Kanzler und Vizekanzler reagieren? Kriegserklärung? Ausladung der Ostblock-Mafia vom Opernball? Oder genügt eine einfache Note des Herrn Bundespräsidenten, dass sich ganz Innerösterreich von Moskaus Hintern distanziert?

Das Problem dabei: So ordinär die Karikaturen auch sind, sie treffen einen Wesenszug unserer Außenpolitik ziemlich genau – das Kriechen. Als Profikiller aus dem Iran 1990 in Wien drei Kurden ermordeten, durften die mutmaßlichen persischen Täter nach einer Spitalsbehandlung auf Weisung aus der Bundesregierung ungestraft das Land verlassen. Sie wurden sogar mit Polizeieskorte zum Heimflug nach Teheran gebracht. Da behaupte einer, Österreich leide an zu viel Bürokratie.

Auch nach dem OPEC-Mord in Wien 1975 bekamen die Geiselnehmer ärztliche Versorgung sowie einen Gratisflug der Austrian Airlines in die Freiheit nach Libyen. Und obendrein gab es für den Terrorpaten Carlos zum Abschied sogar noch einen Händedruck vom damaligen Innenminister. Leise darf man dazu nur sagen: Servus!

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2011)

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