Merkel zur Krise: „Mit akuten Maßnahmen ist es nicht getan“

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Die Deutsche Kanzlerin fordert ein Durchgriffsrecht auf Staaten mit problematischer Haushaltspolitik und neue EU-Kompetenzen. Merkel machte deutlich, dass im Nationalismus keine Zukunft mehr liege.

Brüssel/Wien. „Wir brauchen Mut zur Veränderung.“ Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in einer Rede vor einer offenen Präsidiumssitzung des Europaparlaments am Mittwoch für eine radikale Reform der EU ausgesprochen, die vor einer weiteren Kompetenzübertragung nicht zurückschrecken dürfe. „Wenn wir eine funktionierende Wirtschaftsunion verwirklichen wollen, wird das auch Kernbereiche der nationalen Souveränität betreffen“, so die deutsche Kanzlerin. Es gehe darum, die Gründungsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion zu beseitigen.

Merkel machte deutlich, dass im Nationalismus keine Zukunft mehr liege. „Statt einer Nationalisierung des Europäischen brauchen wir eine Europäisierung des Nationalen.“ Mit jeder Kompetenzübertragung auf europäische Ebene müsse allerdings auch der Parlamentarismus auf dieser Ebene gestärkt werden.

Um Nägel mit Köpfen zu machen, kündigte die deutsche Regierungschefin für den EU-Gipfel im Dezember weitere Initiativen zur Vertiefung der Union an. „Wir brauchen einen Fahrplan für die Erneuerung der Wirtschafts- und Währungsunion.“ Ziel sei die Realisierung von drei Kernpunkten: Erstens eine gemeinsame Finanzmarktpolitik mit einer gemeinsamen EU-Aufsicht für Finanzinstitute (sie wurde bereits beim letzten EU-Gipfel beschlossen). Zweitens eine gemeinsame Fiskalpolitik mit einem Durchgriffsrecht der EU-Institutionen auf Länder mit ausufernden Budgets. Drittens eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, die eine Angleichung auf ein hohes Wettbewerbsniveau ermögliche. Dafür, so Merkel, sollte es in der Eurozone auch ein eigenes Budget geben, um Reformen in einzelnen nachhinkenden Mitgliedstaaten zu finanzieren.

Gemeinsame Vorgabe nicht erfüllt

Die deutsche Bundeskanzlerin kritisierte, dass sich die Mitgliedstaaten bisher nicht an die gemeinsamen Vorgaben gehalten hätten. So wurde beispielsweise in der EU beschlossen, dass für Forschung und Entwicklung drei Prozent der Wirtschaftsleistung bereitgestellt werden müssten. In Wirklichkeit liegen aber die Werte in manchen Ländern gerade einmal bei 0,7 Prozent. Ein prominenteres Beispiel sind die Verstöße gegen den Stabilitätspakt. Deshalb sei es in Zukunft notwendig, dass die EU-Institutionen gestärkt würden, um die Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse zu kontrollieren, folgerte Merkel. „Wir haben eine harte Arbeit im Inneren vor uns.“ Hätten sich alle an die Vorgaben gehalten, wäre die heutige Krise nicht zustande gekommen. „Die Ursache der Krise liege in einer Mischung aus hausgemachten Verstößen und Gründungsfehlern.“ Beides zusammen sei verhängnisvoll gewesen.

Am Mittwochabend reiste Merkel nach London weiter, wo sie mit dem britischen Premierminister David Cameron zusammentraf. Im Mittelpunkt des Gesprächs sollte das künftige EU-Budget stehen. Großbritannien hat mit einem Veto gegen den Gemeinschaftshaushalt für die Jahre 2014 bis 2020 gedroht, sollte es nicht zu substanziellen Kürzungen und einer Beibehaltung des britischen Rabatts kommen. Eine Einigung wird für Ende November bei einem Budgetgipfel in Brüssel angestrebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2012)

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