Vorstoß: IWF drängt Europa zur Fiskalunion

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Symbolbild(c) REUTERS (TONY GENTILE)
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Der Internationale Währungsfonds empfiehlt der EU mehr Durchgriff auf nationale Haushalte, einen zentralen Geldtopf für die Währungsunion, ein stärkeres Sicherheitsnetz für Banken - sowie Eurobonds.

Brüssel. Dass ein Anker für sicheren Halt eines Schiffs im Hafenbecken sorgt, wissen nicht nur in der Nautik versierte Zeitgenossen. Insofern kommt es nicht von ungefähr, dass der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble den Begriff Stabilitätsanker gewählt hat, um am Abend der erfolgreich geschlagenen Bundestagswahl die Rolle seines Landes in der EU zu beschreiben. Von einem Anker sprach drei Tage später auch Céline Allard, Vizedirektorin der Europaabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Gemeinsam mit sechs Kollegen verfasste sie ein Arbeitspapier, das am Mittwoch in Washington präsentiert wurde und das den Fonds – um bei der Begriffswelt der Seefahrt zu bleiben – auf Kollisionskurs mit dem Tanker Deutschland bringen dürfte. Der von Allard konzipierte Halt ist nämlich eine sehr weitgehende Fiskalunion für die Eurozone, die „das Vertrauen in das Bankensystem (der Eurozone, Anm.) verankern“ soll. Elemente wie eine gegenseitige Bankenhaftung und Eurobonds haben Kapitän Angela Merkel und Steuermann Schäuble stets abgelehnt.

Was die Diagnose anbelangt, halten sich die Autoren an das orthodoxe Narrativ: Mangelnde wirtschaftliche Konvergenz der Euromitglieder bei nahezu hundertprozentiger Konvergenz bei den Kosten der Neuverschuldung führte zum Ausbruch der Krankheit, die Banken der Eurozone fungierten als Überträger des Schuldenbazillus. Versagt hat laut Währungsfonds nicht nur die Eurozone selbst, sondern auch ihr Immunsystem – also die Finanzmärkte, die den heraufziehenden Sturm nicht rechtzeitig erkannt haben.

Das Autorenteam empfiehlt eine auf vier Säulen ruhende Union. Erste Säule ist demnach die strengere Durchsetzung der budgetären Spielregeln, was nach Ansicht des IWF „mehr Engagement des Zentrums in Entscheidungen auf nationaler Ebene“ erfordern dürfte. Die EU bewegt sich ohnehin in dieser Richtung – zum ersten Mal müssen ihre Mitglieder im Herbst die Budgets für 2014 in Brüssel zur Begutachtung vorlegen.

Die zweite Empfehlung betrifft eine Umverteilung des fiskalischen Risikos: durch eine europäische Arbeitslosenversicherung, ein Budget für die Eurozone oder einen Hilfsfonds, der aus Beiträgen der Euroländer gespeist werden soll (siehe Subgeschichte). Daran schließt als drittes Element die gemeinsame Schuldenaufnahme an – eine Chiffre für die in Berlin verteufelten Eurobonds. Und zu guter Letzt bedarf es nach Ansicht des IWF einer Absicherung der europäischen Geldhäuser, die über die derzeit avisierten Maßnahmen hinausgeht. Der Fahrplan zur Bankenunion sieht vor, dass die Institute eine eiserne Reserve im Umfang von einem Prozentpunkt ihrer Bilanzen aufbauen.

Unbeantwortete Fragen

Allard und Co. weisen darauf hin, dass ihr Œuvre als Diskussionsgrundlage dienen soll und folglich nicht wasserdicht ist. Dem ist in der Tat so, denn hier offenbaren sich Diskrepanzen zwischen der europäischen Realität und der Weltsicht in Washington. Ein Einwand betrifft die Altlasten in Griechenland und anderswo. Wie die EU den riesigen Schuldenberg abtragen soll, darüber hüllt man sich in Schweigen. Vollends ins Wunschdenken gleiten die Studienautoren ab, wenn sie Aufsicht und Einfluss Brüssels auf die nationalen Wirtschaftspolitiken zur Conditio sine qua non für die Fiskalunion erklären. Wer vor wenigen Monaten miterleben durfte, wie wütend Frankreich auf den (ohnehin zaghaften) Hinweis der Brüsseler Behörde reagierte, Paris möge doch bei der Pensionsreform eine Spur ambitionierter sein, weiß, dass der Weg zur gemeinsamen fiskalischen Verantwortung noch weit ist – und mit guten Vorsätzen gepflastert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2013)

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