EU emanzipiert sich von russischem Gas

(c) AP (Sergei Chuzavkov)
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Der zentralasiatische Staat sichert der EU zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr zu. Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sieht einen „Durchbruch“ für die Nabucco-Pipeline.

BRÜSSEL. Die EU will ihre Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland reduzieren. In diesem Bemühen sei ihr in der Vorwoche ein großer Fortschritt gelungen. Das betonte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner im Gespräch mit der „Presse“: Der Präsident des zentralasiatischen Staates am Kaspischen Meer, Kurbanguly Berdymukhamedov, habe ihr bei ihrem Besuch zugesagt, dass Turkmenistan jährlich mindestens zehn Milliarden Kubikmeter Gas in die EU liefern werde.

„Das ist ein Durchbruch“, so Ferrero-Waldner. „Bisher hat es nur allgemeine Äußerungen gegeben, doch jetzt haben wir eine echte, zusätzliche Perspektive für neue Gasfelder.“ Die verbindliche Zusage sei „ein wichtiger erster Schritt für die Nabucco-Pipeline und auch für die OMV“, sagte die österreichische Kommissarin.

Die geplante Nabucco-Pipeline soll ab 2013 Erdgas von der Türkei bis nach Österreich bringen, stammen soll das Gas aus dem kaspischen Meer und Iran. Nabucco ist ein Prestige-Projekt der EU, das die Abhängigkeit vom derzeitigen Hauptlieferanten Russland senken soll. Denn der Gasbedarf in der EU wächst, während die Produktion in Europa sinkt.

„Beitrag nicht unterschätzen“

Experten rechnen mit einer Nachfrage von bis zu 800 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2030. Im Jahr 2006 waren es rund 500 Milliarden Kubikmeter. Rund 125 Milliarden kamen aus Russland. Die zehn Milliarden, die Turkmenistan künftig liefern werde, dürften demgegenüber „wahrlich nicht unterschätzt werden“, betont Ferrero-Waldner.

Das fünf Milliarden Euro teure Pipeline-Projekt steht allerdings in Konkurrenz zur russisch-italienischen „South Stream“, der Erdgas-Pipeline, die schon vor 2013 von Russland bis nach Österreich und Italien führen soll. Ferrero-Waldner spricht nun von Rückenwind für Nabucco, das nicht über russisches Territorium führen wird. Initiator und Miteigentümer von Nabucco ist der österreichische Energiekonzern OMV, an dessen zentralem Erdgas-Verteilerzentrum die Pipeline enden soll.

Experten hatten vor der Einigung mit Turkmenistan gemeint, die Pipeline könnte aufgrund der South Stream überhaupt scheitern. Die Kommissarin hatte Nabucco bereits mehrfach als ein „absolutes Prioritätsprojekt“ der EU bezeichnet, nachdem Russland gegenüber seinen Nachbarn einen Stopp seiner Gaslieferungen angedroht hatte. Es brauche eine „Diversifizierung der Lieferungen“, sagte Ferrero-Waldner: „Es ist gut, über verschiedene Quellen und Pipelines versorgt zu werden.“

Turkmenistan ist freilich nur ein kleiner Baustein zur Emanzipation von russischem Gas. Außenkommissarin Ferrero-Waldner reist seit Monaten durch Asien, um dort außerhalb Russlands um Unterstützer für die Nabucco-Pipeline zu werben. Im Zentrum des Interesses steht die Kaukasusregion, allen voran Aserbaidschan. Das Land soll über enorme Gasreserven verfügen. Es hat bereits signalisiert, mit der Europäischen Union zusammenarbeiten zu wollen.

„Wir machen jemanden nervös“

Indem man den Wettbewerb ums Gas fördere, mache man „jemanden nervös“, hatte der aserische Wirtschaftsminister Heydar Babayev anlässlich eines Treffens mit der Kommissarin im Februar in Baku gemeint – offenbar in Richtung Russland. Zwischen den beiden ex-sowjetischen Staaten gibt es zwar angespannte, aber friedliche Beziehungen.

Ferrero-Waldner setzt neben Turkmenistan auch auf Kasachstan und Usbekistan, die ihre Energie stärker in die EU exportieren sollten. Dazu ist ein Treffen von Vertretern der drei Länder mit EU-Experten im Herbst in Brüssel geplant. South Stream Seite 25

GAS IST GEFRAGT

Die Nachfrage nach Erdgas in der EU steigt. 2006 wurden 500 Mrd. Kubikmeter benötigt. 125 Mrd. kamen vom Hauptlieferanten Russland. Die EU will sich aber von Moskau emanzipieren – u. a. mit den 10 Mrd. Kubikmetern, die Turkmenistan jährlich liefern wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2008)

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