Die junge Generation ist benachteiligt

Kinderhand und Seniorenhand / Child hand and senior´s hand
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Seit Beginn der Krise hat sich die soziale Kluft zwischen Jung und Alt vergrößert – und das in ganz Europa. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen ohne Zukunftschancen steigt.

Gütersloh/Wien. Kinder und Jugendliche haben heute in der EU geringere Chancen auf einen Job, ein gutes Gehalt und auf sozialen Aufstieg als frühere Generationen. Vor allem aber verzeichnen sie ein höheres Armutsrisiko. Durch die Finanz- und Schuldenkrise hat sich ihre Situation noch einmal verschlechtert. Während sich laut einer der „Presse“ exklusiv vorliegenden Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit die Lage der EU-Bürger in den Jahren nach der Krise insgesamt leicht verbessert hat, sind die düsteren Zeiten für große Teile der Jugend nicht vorbei. Als „besonders bedenklich“ bewerten die Studienautoren, dass sich die Kluft zwischen den Generationen durch die Krise ab 2008 vergrößert hat. „Die Älteren haben es geschafft, in der Krise ihre Sicherheit zu bewahren, die Jugend nicht“, so Bertelsmann-Experte Daniel Schraad-Tischler.

Während der Anteil der von Armut und sozialer Exklusion (Ausgrenzung) bedrohten Kinder und Jugendlichen in der EU seit 2008 von 26,4 auf nun 26,9 gestiegen ist, hat sich die Situation der älteren Menschen wieder verbessert. Bei den über 65-Jährigen ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen im selben Zeitraum von 23,3 Prozent auf 17,4 Prozent zurückgegangen. Betroffen sind Personen, die erhebliche materielle Entbehrungen erleiden bzw. in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung leben.

Fast jeder zehnte Jugendliche in der EU (9,5%) ist derzeit mit schwerwiegenden Entbehrungen konfrontiert. Diese Personengruppe kann die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens wie Heizen oder Telefon nicht mehr decken. Bei den Älteren (über 65-Jährigen) liegt dieser Anteil auf deutlich geringerem Niveau (5,5%).

Ob Jobs, Gehalt oder Lebensumstände: Die ältere Generation sitzt wieder sicherer im Sattel, während die Jugend den Einstieg in den Beruf und den Aufbau ihrer materiellen Existenz immer schlechter bewältigt. Derzeit liegt die Jugendarbeitslosigkeit im EU-Schnitt bei 20,4 Prozent. In den meisten europäischen Ländern wurden während der Krise die Einkommen älterer Arbeitnehmer kaum gekürzt. Pensionszahlungen sind nicht oder nur geringfügig reduziert worden. Die Einkommen der Jugend gingen im Gegensatz dazu zurück. Viele von ihnen müssen zudem in Zukunft mit schlechteren Arbeitsverträgen leben als ihre Vorgänger.

Sozialer Zusammenhalt bedroht

(C) DiePresse

Laut der Studie ist die soziale Teilhabe (Indikator aus Jobchancen, Bildungszugang, Schulabbrecherquote, Armutsgefahr, Neet-Rate) der Jugend heute in keinem einzigen EU-Land besser als im Jahr 2008. Österreich ist keine Ausnahme. Waren 2007 hier 16,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen (bis zu 18 Jahren) von Armut oder sozialer Exklusion bedroht, so sind es heute 18,3 Prozent. Bei der Generation der über 65-Jährigen ging dieses Risiko von 21,2 auf 14 Prozent zurück.

Es besteht ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Jugendliche aus Nordeuropa haben noch eher Chancen auf einen Arbeitsplatz und ein geringeres Armutsrisiko als jene aus Südeuropa. Besonders deutlich wird dieses Gefälle bei der sogenannten Neet-Rate. Sie fasst jenen Anteil der Bevölkerung zusammen, der sich weder in einer beruflichen Ausbildung befindet noch einer bezahlten Beschäftigung nachgeht. Im EU-Schnitt fallen 17,3 Prozent der 20- bis 24-Jährigen in diese Kategorie. In Spanien liegt der Anteil bei 22 Prozent, in Italien sogar bei 31,1 Prozent.

Die Bertelsmann-Experten weisen zudem darauf hin, dass die steigende Verschuldung der EU-Staaten ebenfalls zulasten der Jugend gehen dürfte. Denn sie muss künftig einen höheren Anteil ihrer Gehälter für die Rückzahlung von Staatsschulden aufwenden als ihre Eltern und gleichzeitig mit weniger sozialer Absicherung auskommen. Laut Aart de Geus, dem Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann-Stiftung, bedroht diese Situation den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Die wachsende Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen spielt den erstarkenden populistischen Bewegungen in die Hände.“

Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, fordern die Studienautoren Reformen in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Wichtig sei unter anderem ein gerechterer Zugang zu Bildung. Denn derzeit gebe es einen starken negativen Einfluss des „sozioökonomischen Hintergrunds“ auf den Lernerfolg der Jugendlichen. Kinder aus ärmeren Familien haben deutlich geringere Chancen, ein höheres Bildungsniveau zu erreichen, als Kinder wohlhabender Eltern. Länder wie Finnland oder Estland seien hier vorbildlich. Ihr Bildungssystem ermögliche einen sozialen Durchstieg. Besonders schlecht steht es hingegen in Ungarn, der Slowakei, Frankreich und Bulgarien.

AUF EINEN BLICK

Der Anteil der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Jugendlichen liegt bei 26,9 Prozent, bei den über 65-Jährigen sind es 17,4 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2016)

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