EU-Gipfel auf Malta einigt sich auf neue Migrationsstrategie

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28 EU-Staaten beschließen ein Zehn-Punkte-Programm zur Unterstützung der libyschen Einheitsregierung, damit diese die Flüchtlingswelle selber besser bewältigen bzw. zurückdrängen kann. In neuen Aufnahmelagern sollen Menschen, die nach Europa übersetzen wollen, zur Rückkehr in ihre Heimat überredet werden.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich bei ihrem Gipfel in Malta auf eine gemeinsame Strategie im Umgang mit der Flüchtlingskrise im zentralen Mittelmeer verständigt. Die 28 Staaten vereinbarten zehn "Prioritäten" zur Unterstützung des nordafrikanischen Transitlandes Libyen, wie aus einer am Freitag veröffentlichten Erklärung hervorgeht. Kurzfristig aufgenommen wurde darin ein Verweis auf ein am Donnerstag geschlossenes Flüchtlingsabkommen zwischen Libyen und Italien.

Die Erklärung sagt verstärkte Hilfe bei Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache zu, um wirksamer gegen Schmuggler auf der Route nach Europa vorzugehen. Zudem sollen internationale Organisationen dabei unterstützt werden, die Zustände in libyschen Flüchtlingslagern zu verbessern. Die freiwillige Rückkehr von Zuwanderungsfordernden in ihre Heimat soll gefördert und der Grenzschutz zu Libyens Nachbarn verstärkt werden.

Auffang- bzw. Rücksendelager

Italien hatte bereits am Donnerstag eine Vereinbarung mit der libyschen Einheitsregierung geschlossen. Libyen wurde dabei Geld, die beschleunigte Ausbildung der libyschen Küstenwache und Ausrüstung versprochen. Vereinbart wurden auch "vorübergehende Aufnahmelager in Libyen unter ausschließlicher Kontrolle des libyschen Innenministeriums". In sie sollen Asylsuchende zur Abschiebung in ihre Heimatländer oder bei einer freiwilligen Rückkehr gebracht werden. Finanziert werden sollen sie zunächst durch Italien und gegebenenfalls später auch durch EU-Gelder.

Der libysch-italienische Flüchtlingsvertrag

Einen Tag vor der EU-Gipfel auf Malta haben Italien und die libysche "Regierung der nationalen Einheit" eine Vereinbarung getroffen, um die Migrationsbewegung einzudämmen; dieser Pakt hat die gemeinsame Strategie der EU wesentlich beeinflusst.

Wesentliche Punkte der Vereinbarung:

I.) Beide Seiten bekräftigen "ihre Entschlossenheit zur Zusammenarbeit, um dringende Lösungen in der Frage der illegalen Migration nach Norden zu finden. Dabei starte man zunächst "im Hinblick auf Unterstützung von Sicherheits- und Militäreinrichtungen" in Libyen.

II.) Italien werde Unterstützung und Finanzierung für Wachstumsprogramme in den Regionen, die von irregulärer Einwanderung betroffen sind", bereitstellen. Dabei gehe es etwa um die Sektoren Infrastruktur, Gesundheit, Energie und Bildung.

III.) Technische und technologische Unterstützung erhält die von der UNO und EU anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Fayez al-Sarraj von Italien für Militär, Grenz- und Küstenwache.

IV.) Die "temporären Flüchtlingslager in Libyen, die ausschließlich unter Kontrolle des libyschen Innenministerstehen stehen", werden "unter Beachtung relevanter Standards" aus EU-Fonds und Geldern aus Italien finanziert. Konkrete Zahlen werden nicht erwähnt. Allerdings dürfe die Finanzierung keine Belastung für Italien, sondern primär durch EU-Fonds ermöglicht werden.

V.) Es soll sichergestellt werden, dass die Herkunftsländer der Migranten ihre Bürger zurücknehmen. In die Richtung sollen auch die in Libyen tätigen internationalen Organisationen aktiv werden.

Im vergangenen Jahr waren 181.000 Flüchtlinge in Italien eingetroffen, so viele wie nie zuvor. 90 Prozent kamen über Libyen. Die EU fürchtet ab dem Frühjahr einen neuen starken Anstieg der Flüchtlingszahlen über diese Route. Nach Angaben von EU-Vertretern gibt es Schätzungen, wonach derzeit 300.000 bis 350.000 Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land auf die Überfahrt nach Europa warten.

Grüne zeigen sich entsetzt

Kritik an der neuen Strategie kam - erwartungsgemäß - zunächst von europäischen Linksparteien wie den Grünen. Der Malta-Gipfel bzw. dessen Ergenis wälze die Verantwortung für Flüchtlinge weiter auf Länder außerhalb Europas ab, sagte Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Delegationsleiterin der österreichischen Grünen dort.

Die EU mache sich dabei "zum Komplizen von Drittstaaten, die auf den Schutz von Flüchtlingen und die Rechte von Migranten nicht viel geben." Es gerieten mit dem "nach der Blaupause Türkei-Deal wieder Menschenrechte und Schutz von Flüchtlingen unter die Räder", die EU begebe sich auch in neue Abhängigkeiten.

Kern hoffte auf "Trump-Schock" in Europa

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hatte noch vor dem Beginn des EU-Gipfels in Valetta Reformen in der EU eingemahnt. Vor österreichischen Journalisten sagte der Kanzler, dass neun Monate nach dem Brexit die damaligen Reformversprechen noch nicht eingelöst seien. "Wir bewegen uns vom gemeinsamen Ziel weg." Das betreffe vor allem die gemeinsame Migrationspolitik, aber auch die Wirtschaftspolitik, wobei er konkret die Körperschaftssteuer ansprach. "Wir sind bei der Migration nicht weitergekommen." Er sehe viele Anzeichen der Entsolidarisierung.

Er hoffe, dass der "Trump-Schock" etwas bewirke und die EU zusammenschweiße, aber es gebe auch "Ausreißer" unter den Mitgliedsstaaten. In Bezug auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump und seine Anti-Flüchtlings-Politik übte der Kanzler Kritik an Washington: Er bezeichnete das US-Einreiseverbot für die Bürger von sieben muslimisch geprägten Ländern als hochproblematisch. Die USA trügen zudem durch ihre Interventionen in Nahost Mitverantwortung bei den Flüchtlingsströmen. Es sei "nicht akzeptabel", wenn sich Amerika "aus der Verantwortung stehlen" wolle. Man dürfe jetzt auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die besonders in der US-Kritik steht, nicht alleine stehen lassen.

Merkel: "Europa hat Schicksal selbst in der Hand"

Merkel wollte sich vor dem Gipfel weniger zu Trump und mehr zu Europa äußern. "Ich habe gesagt, Europa hat sein Schicksal selbst in der Hand", sagte Merkel vor Beginn des Treffens. "Je deutlicher man sich über seine Rolle in der Welt klar sei, desto besser könne man die transatlantischen Beziehungen pflegen. "Deshalb steht für mich hier das Sprechen über Europa im Vordergrund und nicht das Sprechen über andere Teile der Welt."

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte Geschlossenheit ein. Er habe den Eindruck, dass die US-Regierung Europa nicht verstehe. Die EU müsse sich selbst auf die wesentlichen Punkte der weiteren Entwicklung verständigen. "Es gibt einige, die ausbüxen wollen", sagte er, Namen nannte er nicht.

Kern bewertet die beim EU-Gipfel geplante Libyen-Initiative - Schlepperbanden sollen noch in libyschen Hoheitsgewässern dingfest gemacht werden - als gut, er mahnt aber raschere und weitere Schritte ein. Als Beispiele erwähnte er die Vorschläge von Merkel, mit Marokko und Ägypten Flüchtlings-Abkommen abzuschließen. Zugleich betonte er, dass man die Westbalkanroute nicht vergessen dürfe. "Die derzeitigen Zustände auf den griechischen Inseln sind unhaltbar."

Ärzte ohne Grenzen: "Libyen kein sicheres Land"

Ein bilaterales Abkommen zur Bekämpfung der illegalen Immigration und des Menschenhandels mit Libyen hat bereits Italien am Donnerstagabend abgeschlossen. Demnach soll die libysche Küstenwache und der Grenzschutz im Kampf gegen illegale Einwanderung unterstützt werden - ähnliches soll auch auf EU-Ebene vereinbart werden. Allerdings gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem nordafrikanischen Land angesichts der politisch instabilen Lage schwierig. Die von der UNO und EU unterstützte "Regierung der Nationalen Einheit" in Libyen hat weiterhin nicht alle Landesteile unter Kontrolle.

Scharfe Worte für die Pläne einer engeren Kooperation mit Libyen fand die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). "Die EU stellt die Realität in Libyen falsch dar: Das Land ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende. Menschen in Libyen festzuhalten oder sie dorthin zurückzuschicken führt die Grundwerte der EU - Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit - ad absurdum", so Arjan Hehenkamp, Geschäftsführer von MSF am Freitag in einer Presseaussendung.

Kern trifft sich mit May

Die Zukunft der Europäischen Union ist ebenfalls Thema beim eintägigen Gipfel - und zwar jene ohne Großbritannien. Am Vormittag führte der Kanzler dazu ein bilaterales Gespräch mit der britischen Premierministerin Theresa May. Denn der Abschluss der Brexit-Gespräche soll 2018 in die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs fallen. Bei dem Treffen ging ging es um den Brexit-Fahrplan und die künftige Situation der in Großbritannien lebenden Österreicher.

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