Gewinnen Geert Wilders, Marine Le Pen und Frauke Petry bei den kommenden Wahlen deutlich dazu, steht auch die EU-Zukunft auf dem Spiel.
Brüssel. Eine Regierung unter dem Einfluss des Rechtspopulisten Geert Wilders in Den Haag, Marine Le Pen im Élysée-Palast, eine geschwächte, zerstrittene Große Koalition in Deutschland und resignierte Reformmüdigkeit in Brüssel – das ist das Horrorszenario für das europäische Superwahljahr 2017. Den Reigen eröffnen am kommenden Mittwoch die Niederländer, im April und Mai wählen die Franzosen ihr Staatsoberhaupt und (voraussichtlich) im Juni die Abgeordneten zur Assemblée Nationale, am 24. September werden die Deutschen zu den Wahlurnen gerufen – und irgendwann dazwischen dürfte Premierministerin Theresa May den komplexen und emotional aufgeladenen Scheidungsprozess zwischen Großbritannien und der EU offiziell einläuten. Es gibt also reichlich Gelegenheiten für kleinere und größere Katastrophen, die das Fortbestehen der EU in ihrem jetzigen Zustand infrage stellen würden.
Wilders-Erfolg bringt geringes Risiko
Das Gefahrenpotenzial ist in den Niederlanden wohl am geringsten. Bei der Parlamentswahl am 15. März dürfte die Freiheitspartei (PVV) des Islamgegners Wilders zwar gut abschneiden. Prognosen zufolge wird die PVV rund 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und damit die zweitstärkste Fraktion im niederländischen Parlament werden. Dieser Wahlerfolg wäre aber aus zwei Gründen kein Drama. Erstens: Die niederländische Parteienlandschaft ist stark fragmentiert, was Mehrparteienregierungen erfordert. Selbst wenn die PVV Teil einer Koalition werden sollte – was bis dato von allen potenziellen Partnern ausgeschlossen wurde –, müsste sie sich mäßigen. Und zweitens: Die Niederlande haben bereits unter ihrem liberalen Premier, Mark Rutte, eine etwas distanziertere Haltung zur EU eingenommen, was beispielsweise beim Hickhack um das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu sehen war. Einen Paradigmenwechsel würde es vermutlich auch nicht mit Wilders in der Regierung geben.
Le-Pen-Sieg bedeutet radikalen Wandel
Das Worst-Case-Szenario des Jahres ist zweifellos ein Sieg von Marine Le Pen bei der Präsidentenwahl in Frankreich. Die Chefin des rechtspopulistischen Front National will ihr Land aus der Eurozone führen und das Volk über die EU-Mitgliedschaft abstimmen lassen – womit die Union in ihrer jetzigen Form Geschichte wäre. Die entscheidende Schlacht wird bei der Stichwahl Anfang Mai geschlagen, bei der Le Pen nach aktueller Stimmungslage gegen den unabhängigen Zentrumskandidaten Emmanuel Macron antreten wird. Nachdem der 39-jährige Exbanker ein relativ unbeschriebenes Blatt ist, könnte das Votum zu seinen Ungunsten verlaufen – vor allem dann, wenn sich enttäuschte konservative Wähler Le Pen zuwenden. Ob die FN-Chefin im Siegesfall ihre Ankündigungen wahrmachen würde, ist alles andere als klar, denn erstens brauchte Le Pen dafür auch eine Mehrheit im neu gewählten Parlament, und sie müsste zweitens die Franzosen von der Richtigkeit des Austritts aus EU und Eurozone überzeugen – einer aktuellen Umfrage des Instituts Elabe zufolge sprechen sich drei von vier Franzosen gegen die Wiedereinführung des Franc aus.
AfD noch keine Gefahr für EU
Im Gegensatz zum französischen Votum wird der Bundestagswahlkampf in Deutschland in der Mitte ausgefochten, und zwar zwischen CDU/CSU und SPD. Die EU-kritische Alternative für Deutschland (AfD) unter Frauke Petry dürfte zwar respektabel abschneiden, den politischen Takt wird sie allerdings (noch) nicht vorgeben. Theoretisch möglich wäre eine rot-rot-grüne Dreierkoalition, sollte SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz das Rennen machen und sich eine Mandatsmehrheit links von der Mitte ausgehen. Doch auch mit dem überzeugten Europäer Schulz erscheint eine Abkehr von der EU unwahrscheinlich – wobei in diesem Fall die bayerische CSU vermutlich deutlich europakritische Töne anschlagen würde. Dass die Pkw-Maut für Ausländer gegen alle Warnstimmen durchgesetzt wurde, hat Europa der CSU zu verdanken, und auch beim Themenkomplex Sicherheit/Migration klingen die Bayern deutlich populistischer als die Regierung in Berlin. Auch ein gutes Ergebnis für die AfD könnte diesen Trend verstärken.
Allen Ängsten vor dem antieuropäischen Populismus zum Trotz könnten sich die Wahlgänge auch als reinigendes Gewitter erweisen. Sollte Macron in den Élysée-Palast einziehen und in Deutschland entweder Schulz oder Amtsinhaberin Angela Merkel die Bundestagswahl gewinnen, wäre die deutsch-französische Achse in der EU wiederhergestellt – eine Conditio sine qua non für ernsthafte Reformen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2017)