Erdoğans Brachialangriff auf Berlin

Recep Tayyip Erdoğan nimmt bei seinen Rundumschlägen nun auch Angela Merkel persönlich ins Visier.
Recep Tayyip Erdoğan nimmt bei seinen Rundumschlägen nun auch Angela Merkel persönlich ins Visier. (c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Der Präsident wirft Deutschland nun gar eine Verstrickung in den Putsch vom Vorjahr vor. Der türkisch-europäische Streit ist längst zum Bestandteil des türkischen Wahlkampfes geworden.

Istanbul. Im heftigen Streit sah es so aus, als könnte es für die türkisch-europäischen Beziehungen nicht mehr viel schlimmer kommen – doch der Tiefpunkt ist wohl noch nicht erreicht. Angesichts der Kurdendemonstration von Frankfurt vom Wochenende und der Zweifel des deutschen Geheimdienstes an den Thesen der türkischen Regierung zum Putschversuch im vergangenen Jahr wirft Ankara Deutschland jetzt eine aktive Verstrickung in staatsfeindliche Aktivitäten vor. Bisher seien Mittelsmänner benutzt worden, sagte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Nun aber sei der „Maskenball vorbei“. Er bezichtigte Angela Merkel nun sogar persönlich, zu „Nazi-Methoden“ zu greifen. Über den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sagte er: „Gott sei Dank ist er verhaftet worden.“

Erdoğan und seine Anhänger sprechen von einem unverhohlenen Versuch der Deutschen und anderer Europäer, das Verfassungsreferendum zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei am 16. April zu beeinflussen. Einige europäische Länder seien gegen den Präsidialplan und stünden „deutlich an der Seite der Nein-Kampagne“, kritisierte Erdoğans Sprecher Ibrahim Kalin. Der türkisch-europäische Streit ist längst zum Bestandteil des türkischen Wahlkampfes geworden, in dem Erdoğan insbesondere um die Unterstützung nationalistischer und islamistischer Wähler wirbt. Vor einigen Tagen hatte er Europa vorgeworfen, einen Religionskrieg zwischen Christen und Muslimen begonnen zu haben.

Unmut Ankaras über BND

Äußerungen von Bruno Kahl, dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), über den türkischen Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres passen aus Sicht Erdoğans in dieses Bild. Kahl zog den Zorn der Türkei auf sich, indem er im „Spiegel“ erklärte, es gebe keine Anzeichen dafür, dass Erdoğan-Erzfeind Fethullah Gülen hinter dem Umsturzversuch vom Juli stand. Der türkische Verteidigungsminister, Fikri Işik, kommentierte, die Äußerung des Chefs des deutschen Auslandsgeheimdienstes verstärkten Zweifel über die Rolle Deutschlands. Es gebe Anlass zur Frage, ob vielleicht der deutsche Geheimdienst hinter dem Putschversuch gestanden sei.

Der Erdoğan-Sprecher betonte, Kahls Stellungnahme sei im Hinblick auf die ausländischen Unterstützer der Gülen-Bewegung sehr „lehrreich“. In Europa gebe es eine gezielte Initiative mit dem Ziel, die von der Türkei als Terrorgruppe eingestufte Bewegung des islamischen Predigers reinzuwaschen. Die Gülen-Bewegung sei ein „Instrument“ Deutschlands, das gegen die Türkei eingesetzt werde.Kalin beklagte zudem, dass die Obama-Regierung nichts unternommen habe, um den im Exil in Pennsylvania lebenden Gülen an die Türkei auszuliefern. Die Trump-Regierung nehme das Thema dagegen ernst und arbeite an einer Auslieferung.

Erdoğans Verschwörungstheorie

Gülen, ein ehemaliger Verbündeter Erdoğans gegen die alten Eliten, weist alle Anschuldigungen im Zusammenhang mit dem Putschversuch zurück. Westlichen Diplomaten zufolge reichen die von Ankara bisher vorgelegten Dokumente als Beweise für eine Täterschaft der Gülen-Gruppe nicht aus. Vielmehr herrscht die auch von Kahl vertretene Meinung vor, der türkische Präsident benutze den Putschversuch als Vorwand, um gegen Andersdenkende vorzugehen. Seit dem Umsturzversuch sind mehr als 100.000 Menschen in der Türkei aus dem Staatsdienst entlassen worden.

Kahls Stellungnahme bestärkt Erdoğan und andere Regierungspolitiker in dem Verdacht, dass die Europäer mit türkischen Staatsfeinden gemeinsame Sache machen. Die Genehmigung für die Kurdendemo von Frankfurt, bei der Unterstützung für die auch in Deutschland verbotene Rebellengruppe PKK laut wurde, ist aus Sicht Ankaras ebenfalls ein Indiz dafür. „Der Maskenball ist vorbei“, sagte Erdoğan in einer Rede am Sonntag. Bisher hätten sich ausländische Gegner der Türkei damit begnügt, Türkei-feindliche Terrorgruppen mit Waffen zu versorgen und bezahlte Agenten in die Türkei zu schicken. „Jetzt greifen sie direkt ein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2017)

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