Brexit spaltet Briten genauso wie vor neun Monaten

Ein Brexit-Befürworter vor einem Souveniershop.
Ein Brexit-Befürworter vor einem Souveniershop.APA/AFP/OLI SCARFF
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Meinungsumfragen zeigen: Die Hälfte der Briten ist für, die andere Hälfte gegen einen EU-Austritt. Eine Versöhnung der beiden Lager scheint unmöglich.

Am heutigen Mittwoch stellt die britische Premierministerin Theresa May offiziell den EU-Austrittsantrag. Mittlerweile ist es etwas mehr als neun Monate her, dass die Briten in einem denkwürdigen Referendum mit einer Mehrheit von rund 52 zu 48 Prozent dafür votiert haben, die EU zu verlassen. Die Stimmungslage in Großbritannien scheint sich seither Umfragen zufolge jedoch kaum gewandelt zu haben.

In einer YouGov-Befragung gaben vergangene Woche 44 Prozent an, dass die Entscheidung für den Brexit die Richtige gewesen sei, ebenfalls 44 Prozent erklärten sie für falsch. Ähnliche Ergebnisse ohne große Mehrheit für die eine oder die andere Seite erzielte das Institut in den vergangenen Monaten immer wieder.

"Die Meinungsumfragen zeigen, dass es immer noch 50:50 ist, also immer noch sehr knapp. Die meisten Leute haben ihre Meinung im Vergleich zu dem, wie sie voriges Jahr abgestimmt haben, nicht geändert", sagt der Politologe Tim Oliver von der London School of Economics (LSE). Keine der beiden Seiten habe bisher das Gefühl, widerlegt worden zu sein. "Das ist teilweise deshalb, weil der Brexit noch nicht begonnen hat."

Beide Lager fühlen sich bestätigt

Beide Seiten fühlten sich durch die bisherigen Entwicklungen seit dem Referendum bestätigt, so der Experte - ob das nun der Wertverlust des Pfund sei, den Brexit-Befürworter als gut für die Exporte ansähen, oder die weiter wachsende britische Wirtschaft, die Austrittsgegner warnen lasse, dass ein "Grad wirtschaftlicher Zerstörung" im Gange sei, der übersehen werde.

In Großbritannien sei in den vergangenen neun Monaten gleichsam das "Narrativ des Brexit" definiert worden: "Wenn die Leute fragen, wofür haben die Briten am 23. Juni gestimmt, abgesehen von Austreten oder Bleiben, dann gibt es darauf keine klare Antwort. Haben sie wegen der Einwanderung ihre Stimme so abgegeben? Haben sie wegen der Wirtschaft abgestimmt? Wegen Souveränität? Wegen Spannungen innerhalb Großbritanniens? Wegen englischen Nationalismus'?"

Man könnte eine ganze Reihe von Themen anführen, die vielleicht erklärten, wie die Briten gestimmt hätten, sagt Oliver, "aber irgendjemand muss die Antwort auf diese Frage definieren". Dieser jemand sei letztlich die britische Premierministerin, die zwar im Referendumswahlkampf für den Verbleib in der EU eingetreten sei, nun aber Schritte in Richtung einer Politik gesetzt habe, die im Wesentlichen auf einen "harten Brexit" hinauslaufe.

Radikale Änderung ohne große Mehrheit

Außerhalb Großbritanniens könnte für Erstaunen sorgen, wie man auf Basis einer doch recht knappen Mehrheit "eine so radikale Entscheidung" treffen könne. "Und ich glaube, dazu muss man das britische politische System verstehen", meint Oliver unter Verweis auf das geltende Mehrheitswahlrecht ("first past the post"). So funktioniere die britische Politik eben sonst auch: "Man braucht keine große Mehrheit, um Dinge radikal zu verändern."

Natürlich unterstützt nicht jeder im Land den Kurs von Premierministerin May. Das Pro-EU-Lager wolle "bestimmt keinen harten Brexit, aber die wollen überhaupt keinen Brexit", sagt Roger Mortimore, Professor am Londoner King's College, zur APA.

Die Brexit-Unterstützer hingegen "wären mehrheitlich wahrscheinlich hocherfreut, wenn wir im Binnenmarkt bleiben könnten, ohne irgendwelche andere Zugeständnisse zu machen", aber sie fänden andere Dinge wichtiger: "Wenn sie wählen müssten, ob sie im Binnenmarkt bleiben oder die Kontrolle über die Einwanderung zurückerlangen können, dann würden sie sich für die Einwanderung entscheiden." Das sei auch schon bei der Abstimmung im Juni die wichtigste Trennlinie gewesen, sagt Mortimore, der ebenfalls konstatiert, dass bisher "sehr wenige Leute ihre Meinung geändert zu haben scheinen".

"Tief gespaltenes Großbritannien"

Es gebe "viel Bitterkeit auf beiden Seiten gegenüber dem jeweils anderen" und viele Leute, die über den Ausgang des Referendums sehr unglücklich seien und nicht aus der EU austreten wollten. Dennoch akzeptiere wohl die Mehrheit, dass es zum Brexit kommen werde: "Ich glaube, die meisten Leute sind entweder glücklich mit dem Ergebnis oder haben sich damit abgefunden."

Was bleibt, sind offenbar weiterhin zwei Lager. Die Haltung der Regierung zum Brexit mag dabei geholfen haben, Austrittswähler davon zu überzeugen, dass ihre Ambitionen erfüllt werden könnten, aber sie habe offenbar wenig dazu beigetragen, Pro-EU-Wähler davon zu überzeugen, dass der Brexit vielleicht doch keine so schlechte Idee sei, hält John Curtice, Politik-Professor an der Universität Strathclyde, in einem aktuellen Beitrag fest. Es sei daher "ein tief gespaltenes Großbritannien, das nun dabei ist, den Brexit-Prozess zu beginnen".

(APA/Alexandra Frech)

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