Korun: "Wahlmanipulation könnte Referendumsergebnis drehen"

Ein Mann bei der Abstimmung in einem türkischen Wahllokal.
Ein Mann bei der Abstimmung in einem türkischen Wahllokal.REUTERS/Osman Orsal
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Bis zu 2,5 Millionen Stimmen könnten beim Verfassungsreferendum am Sonntag manipuliert worden sein, sagt die Grüne, die als Wahlbeobachterin in der Türkei war.

Das Ergebnis des Referendums über eine Präsidialverfassung in der Türkei könne bei einer Anfechtung gedreht werden, sagt die Grüne Alev Korun, die für den Europarat als Wahlbeobachterin in der Türkei tätig war, in einem Interview mit dem "Ö1-Morgenjournal". Es bestehe der Verdacht, dass bis zu 2,5 Millionen Stimmen manipuliert worden seien, bekräftigte Korun die Kritik der beiden großen Oppositionsparteien HDP und CHP.

Sie selbst habe zwar keine Unregelmäßigkeiten registriert, doch Kollegen die in die vorwiegend kurdische Stadt Diyarbakir im Südosten der Türkei fuhren, seien an ihrer Arbeit gehindert worden. Für Kritik sorgte auch eine am Sonntagabend getroffene Eilentscheidung der Wahlkommission in Ankara: Sie erlaubte, auch Stimmzettel zu zählen, denen entgegen den gesetzlichen Vorschriften der Stempel des Leiters des jeweiligen Wahllokals fehlte.

In Sozialen Medien kursierten etwa Videos, die Wähler dabei filmten, wie sie mehrere Wahlzettel abstempelten, erzählt Korun. Diese Vorwürfe müssten zwar noch überprüft werden. Doch seien die Beschwerden in einem Ausmaß, dass sie das Wahlergebnis verändern könnten. Korun gehe aber aufgrund der politischen Lage nicht davon aus, dass die oberste Wahlkommission einer Neuauszählung stattgeben werde.

Auch nicht offiziell zugelassene Stempel durften verwendet werden.
Auch nicht offiziell zugelassene Stempel durften verwendet werden.APA/AFP/ADEM ALTAN

"Weder freie noch faire Wahlen"

Auch die türkische Anwaltskammer spricht von gravierenden Gesetzesverstößen. Die kurzfristige Entscheidung der Wahlkommission, auch ungestempelte Wahlzettel zu akzeptieren, verstoße gegen das Gesetz und könnte den Wahlausgang beeinflusst haben, erklärte die Anwaltskammer am Dienstag. Die türkische Opposition hat bereits angekündigt, das Wahlergebnis anzufechten. 

Der offizielle deutsche Wahlbeobachter Andrej Hunko sprach in einem Interview in der "Rheinischen Post" von einer "Atmosphäre massiver Bedrohung" in den Kurdengebieten. "Ein schwer bewaffnetes Polizeiaufgebot mit Gewehren, Maschinenpistolen und einem gepanzerten Wagen mit laufendem Motor" habe den Weg zu einem Wahllokal versperrt, sagte der Linke-Bundestagsabgeordnete.

In den Tagen vor der Wahl seien potenzielle Erdogan-Gegner in Gewahrsam genommen worden, damit sie nicht am Referendum teilnehmen können, sagte Hunko. Angesichts der massiven Einschränkungen des Nein-Lagers und der Bedingungen des Ausnahmezustandes könne "weder von freien noch von fairen Wahlen gesprochen werden", bilanzierte der Wahlbeobachter.

Korun: Ernst nehmen, wenn sich Türken benachteiligt fühlen

Korun forderte, die Wahlergebnisse für Österreich genauer zu analysieren. Von den knapp 117.000 türkischen Staatsangehörigen in Österreich habe weniger als die Hälfte gewählt. Davon stimmten jedoch mehr als 70 Prozent für ein Ja. "Es ist ein Widerspruch in Österreich in Freiheit zu leben, Rechtsstaat und Demokratie zu genießen und gleichzeitig der Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei zuzustimmen", sagte Korun.

Ob der Ausgang der Abstimmung - und die schwache Mobilisierung der Gegner der Verfassungsreform - in Österreich gut oder schlecht sei, wollte sie nicht bewerten. Denn die Motivation, nicht zur Wahl zu gehen, sei unterschiedlich gewesen. Manche hätten das Referendum boykottiert, manche hätten sich gedacht, es habe keinen Sinn abzustimmen, ein Teil habe kein Interesse an der türkischen Innenpolitik, sagte Korun.

Gleichzeitig müsse man ernst nehmen, wenn sich Menschen benachteiligt fühlen, meint die Politikerin. "Dass sie dann jemandem in die Hände laufen, der sagt ich liebe euch, ihr könnt stolz sein, wo aber nicht darüber geredet wird, welche Politik dieser Mensch macht."

Karas gegen Stopp von EU-Beitrittsverhandlungen

Der österreichische EU-Abgeordnete Otmar Karas übte am Montag Kritik an den Forderungen von Außenminister Sebastian Kurz und Kanzler Christian Kern, die EU-Beitrittsverhandlungen an das deutliche Ja für eine Verfassungsänderung zu knüpfen. "Ich sage, wir lösen damit kein Problem innerhalb der Türkei und in der europäischen Union, weil die Türkei ein wichtiger Nachbar bleibt", sagt Karas. Das Einfrieren der Verhandlungen könne nicht helfen, "dass mir die Entwicklung in der Türkei Sorgen macht, dass das Land gespalten ist und dass wir eine große Anzahl von türkischen Staatsbürgern in der EU haben, die sich zu dem autokratischen Kurs bekannt haben", meinte Karas.

Die Kommission in Brüssel müsse genau überprüfen, ob die Kriterien für einen EU-Beitritt gegeben seien. "Sind sie nicht gegeben, gibt es auch keine sogenannten Beitrittsgespräche, gar keine Chance. Führt die Türkei die Todesstrafe, die sie abgelehnt hat, um Beitrittsverhandlungen führen zu können, schließt die Türkei automatisch diese Verhandlungen", sagte der ÖVP-Politiker. "Die Türkei schlägt die Türen zu, nicht die EU."

>>> Zum "Ö1-Morgenjournal".

>>> Rheinische Post.

(red.)

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