EU-Kommission startet Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn

Proteste gegen die Orbán-Regierung und das neue Hochschulgesetz zogen letzte Woche mehrere tausend Menschen in Budapest auf die Straße.
Proteste gegen die Orbán-Regierung und das neue Hochschulgesetz zogen letzte Woche mehrere tausend Menschen in Budapest auf die Straße.imago/Michael Trammer
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Die EU sieht zwei Bereiche der ungarischen Politik in Konflikt mit europäischen Verträgen: Das neue Hochschulgesetz und die Volksbefragung namens "Stoppt Brüssel".

Die EU-Kommission hat am Mittwoch erwartungsgemäß ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Dabei geht es um zwei Bereiche: Einerseits um das umstrittene Hochschulgesetz und zum anderen um den Fragebogen Ungarns betreffend "Stoppt Brüssel". Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, erklärte dazu, beim Fragebogen seien "einige Angaben entweder falsch oder irreführend".

Deshalb sei es der Kommission darum gegangen, "das zu berichtigen und Antworten zu geben". Es müssten "einige Fehler korrigiert" werden. Konkret geht es in beiden Fällen um ein Mahnschreiben an Ungarn, doch sei dies der "erste Schritt" in einem Vertragsverletzungsverfahren.

Jedenfalls werde die Kommission "auch rechtlich tätig werden im Zusammenhang mit dem Hochschulgesetz". Außerdem stehe die Brüsseler Behörde "in Kontakt mit den ungarischen Behörden wegen anderer Probleme im Asylbereich". Hier verfolge die EU-Kommission "ganz genau den Entwurf des Asylgesetzes und der Registrierung von NGOs". Dombrovskis: "Auch da haben wir Probleme festgestellt".

Orban kritisiert "grundlose Anschuldigungen"

Ungarns Regierungschef Viktor Orban wies die Vorwürfe der EU-Kommission zu Einschränkungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Freiheit der Wissenschaft und Forschung am Mittwoch scharf zurück. Dies seien "grundlose Anschuldigungen".

Jedenfalls "wird Ungarn den Kampf nie aufgeben", betonte Orban vor dem Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans und den Europaabgeordneten. Sein Land sei 2008 vom gleichen Stand gestartet wie Griechenland. "Ungarn hat sich an den IWF und die EU für Kredite gewandt. Seitdem haben wir das Geld vorzeitig und ohne Schulden zurückgezahlt und tausende Arbeitsplätze geschaffen. Wir sind auf dem Weg zur niedrigsten Arbeitslosenrate in der EU und zielen auf Vollbeschäftigung ab", machte er Werbung für den Werdegang Ungarns. Der Erfolg Ungarns sei auch ein Erfolg Europas und "die Union braucht Erfolge. Es wäre dumm, wenn wir aufgrund ideologischer Unterschiede nicht genügend darauf achten".

Die Anschuldigungen wegen der Schließung der zentraleuropäischen Universität des "US-Spekulanten" Georg Soros sei "absurd", so Orban. "Die Uni wird unter allen Umständen weiterhin funktionieren. Das ist ja so, als würde man jemand des Mordes beschuldigen und verurteilen, während das eigentliche Opfer weiterhin lebt". Ungarn habe lediglich eine "kleine Gesetzesänderung" gemacht, die 28 Universitäten betreffe. "Es geht um nichts anderes, als Spekulationen und Missbräuche" hintanzuhalten, "egal welcher reiche Mann ihr Eigentümer ist".

Karas: Gratulation Orbans an Erdogan "Skandal"

Den kritisierten Fragebogen über "Stopp Brüssel" verteidigte Orban. Der Regierungschef sagte, "das ist ja wohl kein Verbrechen". "Es ist ganz klar, dass wir es für nicht vereinbar mit den Verträgen halten, wenn Migranten in unser Land gebracht werden". Denn "mit wem wir zusammen leben, können nur wir entscheiden". Soros habe erklärt, er wolle jährlich eine Million Migranten in die EU bringen. "Wir weisen das zurück". Außerdem wolle Ungarn nicht, dass seine Selbstbestimmung verloren gehe oder Steuerkompetenzen auf die EU übertragen werden.

Othmar Karas zeigte am Mittwoch seine Unterstützung für das Verfahren gegen die EVP-Mitgliedschaft der Fidesz-Partei. Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament übte scharfe Kritik an Viktor Orban, weil dieser dem türkischen Staatspräsidenten zum umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei gratuliert habe. Dies sei ein "weiterer Skandal".

Der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer sagte, Orban werde zunehmend zu einer Gefahr für die ungarischen Bürger selbst. Immer mehr junge Ungarn würden ihr Land verlassen. Orban spiele damit ein gefährliches Spiel mit der Zukunft des Landes. Für Weidenholzer hat Orban den Bogen überspannt. Notwendig sei eine klare Haltung im EU-Parlament, das von Orban nicht als Theaterbühne missbraucht werden dürfe.

Ein Plakat der Volksbefragungs-Kampagne "Lasst uns Brüssel stoppen!"
Ein Plakat der Volksbefragungs-Kampagne "Lasst uns Brüssel stoppen!"imago/newspix

Mehrere Streitpunkte

Seit seinem Regierungsantritt 2010 fordert der ungarische Ministerpräsident Orban die Europäische Union (EU) regelmäßig heraus. Der rechtskonservative Politiker versucht immer wieder, den Spielraum seiner Machtpolitik über die vom Regelwerk der EU gesteckten Grenzen hinaus auszuweiten. Das sind die wichtigsten Streitpunkte zwischen Brüssel und dem EU-Mitgliedsland Ungarn:

HOCHSCHULPOLITIK: Eine im Handstreich durchs Parlament gedrückte Novelle zum Hochschulunterrichtsgesetz scheint ganz darauf zugeschnitten zu sein, die renommierte, US-geführte Central European University (CEU) in Budapest zur Schließung zu zwingen. Orban macht kein Hehl daraus, dass er die Aktivitäten des liberalen US-Milliardärs, CEU-Gründers und NGO-Unterstützers George Soros aus Ungarn zu verbannen gedenkt. Die EU-Kommission prüft, ob das Gesetz europäischen Grundsätzen widerspricht.

ZIVILORGANISATIONEN: Das Parlament wird demnächst ein neues Gesetz beschließen, das zivile Organisationen und Vereine diskriminiert, die Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Sie werden sich demnach künftig als "vom Ausland unterstützte Organisation" deklarieren müssen, was einer Abstempelung gleichkommt. Das dürfte den demokratischen Grundsätzen widersprechen, zu denen sich die EU und ihre Mitglieder bekennen.

ASYLRECHT: Seit Monatsbeginn gilt in Ungarn das schärfste Asylrecht in EU-Europa. Asylbewerber, die ohnehin in nur sehr kleiner Zahl ins Land gelassen werden, werden für die Dauer ihres Verfahrens in Container-Lagern an der Grenze festgehalten. Auch dies dürfte gegen geltende EU-Bestimmungen verstoßen. Ungarn weigert sich außerdem energisch, die im Herbst 2015 beschlossenen Quoten zur EU-weiten Verteilung von 160.000 Asylbewerbern zu erfüllen. Auf das Donauland würden 1300 Flüchtlinge entfallen. Ungarn hat - wie die Slowakei - gegen den einen Quoten-Beschluss, der sich auf 120.000 Menschen bezieht, vor dem Europäischen Gerichtshof (EGH) geklagt.

ROMA: Roma-Kinder werden in Ungarns Schulen zunehmend von den anderen Kindern separiert oder von vornherein in Sonderschulen für geistig zurückgebliebene Kinder abgeschoben. Dies verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung auf ethnischer Grundlage. Seit Mai des Vorjahres läuft deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn.

WIRTSCHAFTSPOLITIK: Orban setzt immer wieder Schritte, um internationale Unternehmen im Bereich Finanzen, Dienstleistungen, Medien und Handel zu diskriminieren. Dahinter steht die Absicht, heimische Oligarchen zu fördern, was diese aber in Abhängigkeit von der Politik hält. Wegen der damit einhergehenden Marktverzerrungen kam es zu zahlreichen Konflikten mit der EU.

DEMOKRATIEABBAU: In vielen Fällen haben die EU-Institutionen keine wirkliche Handhabe gegen Orbans Tun und Walten. Etliche Maßnahmen zur Ausdünnung der Demokratie sind von den Budapester Regierungsjuristen - wie etwa das umstrittene Mediengesetz von 2010 - in eine juristische Form gegossen worden, die im Einzelnen wenig konkrete Angriffspunkte bietet. Gesetze dieser Art entfalten erst im Zusammenhang mit ihrer Anwendung, mit anderen Gesetzen und im Umfeld einer völlig durchpolitisierten Staatsverwaltung ihre demokratieabbauende Wirkung. Der vom Europaparlament 2013 angenommene Tavares-Bericht hält immerhin fest, dass der Fortbestand der Grundrechte in Ungarn in Gefahr ist.

(APA)

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