EU-Erweiterung

Albanien setzt auf raschen Start der Beitrittsverhandlungen

Albaniens Ministerpräsident Edi Rama.
Albaniens Ministerpräsident Edi Rama.(c) APA/AFP/GENT SHKULLAKU
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Tirana fühlt sich EU-reif und empfindet die neue Union der Westbalkanstaaten als mögliche Bremse.

Athen. Als vergangenen Samstag das neue albanische Parlament zusammentrat, hatte Edi Rama, alter und neuer Ministerpräsident, allen Grund, zufrieden zu sein. Zum einen kann Rama nach dem deutlichen Wahlsieg seiner Sozialisten (SP) im Juni mit 74 von 140 Sitzen im Parlament erstmals eine Alleinregierung bilden. Zum anderen wählten am Samstag 80 Abgeordnete den sozialistischen Kandidaten zum Parlamentspräsidenten – darunter zwei Abtrünnige der konservativen Opposition.

Vor allem aber kann Rama nun auch der EU-Kommission gegenüber argumentieren, dass der Beitrittskandidat Albanien politisch stabil und damit reif für den Beginn von Beitrittsverhandlungen ist. Obwohl die EU-Erweiterung derzeit auf Eis liegt, wird mit anderen Kandidaten auf dem Westbalkan weiterhin verhandelt. Albanien hingegen war erst vergangenes Jahr erneut auf die Wartebank geschickt worden – es sollte unter anderem die „Reifeprüfung“ der Wahlen bestehen. Diese verlief für albanische Begriffe dann außerordentlich ruhig. Und auch die Kür des neuen Staatspräsidenten, Ilir Meta, durch das scheidende Parlament ging ohne wesentliche Probleme über die Bühne.

Offene Kritikpunkte an Justiz

Die demokratische Feuertaufe scheint fürs Erste bestanden. Doch die EU-Kommission hat darüber hinaus noch eine lange Liste von Kritikpunkten, etwa die Unabhängigkeit von Gerichten oder den Kampf gegen das organisierte Verbrechen, das hinter dem blühenden Drogenhandel steht. Immerhin hat EU-Kommissar Johannes Hahn, zuständig für Nachbarschaft und Erweiterung, sich zuletzt sehr positiv über die Entwicklungen geäußert. Als Gast eines informellen Treffens der sechs Ministerpräsidenten der Westbalkanstaaten im albanischen Durrës Ende August lobte er Albanien für die „klaren und transparenten“ Wahlen. „Insgesamt“, meinte er, „sehe ich Fortschritte.“ Und genau das wünscht sich die albanische Führung: eine positive Stellungnahme beim nächsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission.

Staaten wie Deutschland allerdings haben noch ganz konkrete offene Rechnungen mit dem Land der Skipetaren. So stellten 2015 in Deutschland nicht weniger als 54.000 Albaner einen Asylantrag – ein offensichtlicher Missbrauch der seit 2010 bestehenden Visumfreiheit. Die Lage hat sich zwar seither entspannt, auch Albanien selbst versucht verstärkt, seine Bürger von einem Asylabenteuer abzuhalten – der schlechte Ruf aber ist geblieben. Zuletzt wurde nämlich deutlich, dass viele Albaner nun in Frankreich ebenso ihr Asylglück versuchen. Kaum berichtet wird freilich von den Zigtausenden Einbürgerungen von Albanern der zweiten und dritten Generation in den Nachbarländern Italien und Griechenland. Sie belegen, dass albanische Einwanderer durchaus anpassungs- und integrationsfähig sind.

Das neue Lieblingsprojekt der EU auf dem Balkan, die wirtschaftliche Union der Westbalkanstaaten, um die es auch in Durrës gegangen ist, ruft unter diesen Voraussetzungen in Albanien eher Misstrauen hervor. Das offizielle Albanien steht hinter dem Projekt, das auch der Berlin-Prozess genannt wird und das im Juli 2017 in Triest mit 115 konkreten Integrationsprojekten konkretisiert wurde. Es gibt gute Argumente dafür, wie die verkümmerte grenzüberschreitende Infrastruktur oder den schwachen Handel in der Region. Nicht wenige – auch im Umkreis der Regierung – fürchten jedoch, dass der Plan vorgeschoben wird, um Albanien neuerlich in die EU-Warteschleife zu schicken. Andere haben ganze andere Sorgen. Sie fürchten, dass eine „kleine Union“ der Westbalkanstaaten vom wirtschaftlich potenten Serbien dominiert würde, und warnen vor einer serbischen Hegemonie in diesem Raum.

Europa-Ministerium abgeschafft

Entgegen den Bemühungen auf rasche EU-Annäherung steht freilich eine Umstrukturierung der Ministerien. So wurde in Tirana das Ministerium für europäische Integration in der aktuellen Legislaturperiode abgeschafft, dafür wurde ein eigenes Ministerium für die albanische Diaspora geschaffen. Sein Minister hat einen bekannten Namen: Panteli Majko, er war während des Kosovo-Krieges 1999 albanischer Ministerpräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2017)

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