Kern stellt sich hinter Macrons EU-Reformpläne

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Der Kanzler fordert eine "Koalition der Willigen" für die rasche Umsetzung der Reformpläne des französischen Präsidenten. Auch die deutsche Kanzlerin unterstützt Macron.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat sich beim EU-Gipfel in Tallinn hinter die ehrgeizigen Reformpläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gestellt und eine "Koalition der Willigen" für ihre Umsetzung gefordert. "Wir dürfen uns in Europa nicht immer nur an den Langsamsten orientieren", sagte Kern in der Nacht auf Freitag der APA.

Kern äußerte sich nach einem informellen Abendessen der EU-Staats- und Regierungschefs in der estnischen Hauptstadt, das hauptsächlich den Plänen Macrons für eine Wirtschafts-, Sicherheits- und Sozialunion gewidmet war. Er habe in seiner Wortmeldung Macron "massiv unterstützt", berichtete der SPÖ-Chef. "Heute haben die Stimmen überwogen, die diesen Weg gehen wollen, die eine entschlossenere europäische Politik wollen für ein gemeinsames Europa", sprach Kern von einem "guten Beginn". "Es ist schon spürbar, dass sich die Stimmung in Europa verändert hat mit Emmanuel Macron."

Österreich sei eines der Länder, das die verstärkte europäische Kooperation suche. Konkret nannte Kern "die große Frage der Sicherheitspolitik", wo Österreich seinen Vorschlag eines Armee-Assistenzeinsatzes beim Grenzschutz bekräftigt habe. "Ganz wichtig" für Österreich seien aber auch Fortschritte in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen wie den Kampf gegen Steuervermeidung, sowie gegen Lohn- und Sozialdumping. Gegenüber einer stärkeren Kooperation der EU-Staaten im Verteidigungsbereich äußerte sich Kern zurückhaltend.

Kern sieht Merkel nicht geschwächt

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht Kern nach dem massiven Einbruch bei der Bundestagswahl am Sonntag auf EU-Ebene nicht geschwächt. Sie habe ihren Amtskollegen auch "ganz klar versichert", dass es durch die Regierungsbildung in Berlin keine Verzögerungen bei der EU-Reformagenda geben werde. Merkel hatte sich zum Auftakt des Treffens klar hinter die am Dienstag präsentierten Pläne Macrons gestellt und energische Reformen der EU gefordert.

Sowohl Macrons Europarede am Dienstag als auch die Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seien als wichtige Bausteine auf dem Weg zur Weiterentwicklung der EU und der Euro-Zone "außerordentlich", sagte Merkel am Donnerstagabend in Tallinn. "Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa nicht einfach stehen bleiben darf."

"Ausgesprochen positiv sehe ich die Initiativen in Richtung eines Europas der Verteidigung und eines Europas, in dem wir die Migrationspolitik gemeinsam gestalten", sagte sie. Allerdings müsse man hier sehr viel weiter gehen. Nötig seien gemeinsame Standards für Asylverfahren in der EU und am Ende ein "gemeinsames europäisches Asylverfahren", genauso wie der Schutz der EU-Außengrenzen.

Aufatmen nach Schäuble-Abgang

Zu den Vorschlägen Macrons zur Weiterentwicklung der Euro-Zone äußerte sich Merkel dagegen vorsichtiger. "Da muss man im Detail darüber sprechen", sagte sie. Zugleich kündigte die Kanzlerin deutsche Vorschläge an.

Das informelle Abendessen der Staats- und Regierungschefs fand am Vorabend des eigentlichen Gipfels, bei dem es um die Digitalisierung Europas gehen soll, in einem Kunstmuseum in Tallinn statt. Bei Kaninchenleber und Räucherlachs tauschten sich die 27 Staats- und Regierungschefs - diesmal fehlte nicht die britische Premierministerin Theresa May, sondern ihr spanischer Kollege Mariano Rajoy - bis weit nach Mitternacht aus.

Für Merkel ist der Gipfel in Tallinn der erste Auftritt im Kreise ihrer EU-Amtskollegen nach der Bundestagswahl, bei der die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD abgewählt worden war. Diplomaten werteten es in Tallinn als positives Zeichen, dass der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht mehr die Politik der Eurozone mitbestimmen wird, weil er neuer Bundestagspräsident wird. Schäuble galt als Hardliner in der Euro-Schuldenkrise und drückte der Eurogruppe seinen Stempel auf. Unter seinem Nachfolger könnte es mehr Spielraum für Reformen der Eurozone geben.

(APA)

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