Deutschland stellt sich hinter Glyphosat

Agrochemische Produkte wie Glyphosat ermöglichen ertragreiche, aber ökologisch problematische Monokulturen.
Agrochemische Produkte wie Glyphosat ermöglichen ertragreiche, aber ökologisch problematische Monokulturen. (c) REUTERS (ILYA NAYMUSHIN)
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Mit knapper Mehrheit stimmten die Regierungen für eine weitere fünfjährige Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters.

Brüssel. Das europäische Ringen um die Zulassung des weltweit populärsten, wegen seiner Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch, Pflanze und Tier aber umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat hat am Montagnachmittag gegen 15.45 Uhr in einem Brüsseler Konferenzsaal sein vorläufiges Ende gefunden. Die Vertreter von 18 Mitgliedstaaten stimmten dafür, das vom Chemiekonzern Monsanto hergestellte Herbizid für fünf weitere Jahre zu genehmigen. Bei zwei vorherigen Abstimmungen der zuständigen Fachgremien der Regierungen hatte sich keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen die Betriebszulassung ergeben.

Österreich in der Minderheit

Die Mehrheit für Glyphosat war äußerst knapp. Sie entsprach 65,71 Prozent der Bevölkerung der Union. 65Prozent waren gemäß den Abstimmungsregeln erforderlich, die zudem als zweite Bedingung vorsahen, dass zumindest 16Mitgliedstaaten zustimmten. Gegenüber dem vorherigen, ergebnislosen Votum gab Deutschland den Ausschlag. Hatte es sich damals noch enthalten, stimmte es dieses Mal zu und sicherte die Mehrheit für Glyphosat.

Österreich stimmte mit Frankreich, Belgien, Luxemburg, Griechenland, Kroatien, Italien, Zypern und Malta gegen die Verlängerung der Zulassung, Portugal enthielt sich.

Ungemach in Berlin

Diese Brüsseler Entscheidung grätscht in die Berliner Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD. Denn Deutschlands Haltungswende war im engsten Sinn eine des Landwirtschaftsministeriums unter dem amtsführenden CSU-Minister Christian Schmidt. Die ebenfalls nur bis zur Bildung der neuen Regierung amtierende Umweltministerin von der SPD, Barbara Hendricks, protestierte unmittelbar nach der Abstimmung in einer Aussendung: „Jeder, der an Vertrauensbildung zwischen Gesprächspartnern interessiert ist, kann sich so nicht verhalten“, erklärte Hendricks in einer Mitteilung. Höchst verärgert reagierten auch die deutschen Grünen, die noch bis vor wenigen Tagen auf die Beteiligung an einer Jamaika-Koalition mit den beiden Christparteien sowie der FDP gehofft hatten. „Das Umschwenken von einer Enthaltung in dieser Frage zur Zustimmung liefert uns einen Vorgeschmack auf die künftigen Machtverhältnisse in Berlin. Das Verhalten von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) ist instinktlos und skandalös“, lautete es in einer Aussendung des agrarpolitischen Sprechers im Europaparlament, Martin Häusling.

Starker Bürgerwiderstand

Das Europaparlament hätte eine Kompromisslösung angeboten, auf welche die Regierungspolitiker nicht eingegangen seien, bedauerte Karin Kadenbach (SPÖ), die im Agrarausschuss sitzt: „Wir haben uns im EU-Parlament einigen können, dass ab 15. Dezember2022 das Pestizid europaweit verboten werden soll. Immerhin haben wir mit unserer Beharrlichkeit durchgesetzt, dass die EU-Kommission statt zehn Jahren eine Zulassung von fünf Jahren vorschlägt.“

Die Kommission hat die Entscheidung nun umzusetzen und Glyphosat zu genehmigen. Doch der Kampf um das möglicherweise krebserregende, nachweislich die Artenvielfalt verringernde Herbizid ist nicht zu Ende. Eine Europäische Bürgerinitiative, die das Verbot fordert, hat mehr als eine Million Stimmen erhalten und muss von der Kommission in naher Zukunft behandelt werden.

AUF EINEN BLICK

Glyphosat ist der weltweit gebräuchlichste Unkrautvernichter. Schlüssige Beweise dafür, dass er Krebs erregt, gibt es nicht, aber zahlreiche Indizien. Vor allem reduziert es die Artenvielfalt in Gewässern, wohin es der Regen aus den Feldern spült. Seine EU-Zulassung läuft am 15. Dezember aus, sie wurde nun um fünf Jahre verlängert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2017)

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