Nahost-Konflikt, türkische Angriffe auf syrische Kurden, die Krise in Libyen: Das erste Ratstreffen mit der neuen Ministerin legte erneut die Machtlosigkeit der Europäer offen.
Brüssel. Karin Kneissls erste Teilnahme an einem Außenministerrat der EU begann, zumindest für manch ausländischen Beobachter, mit einer Überraschung: Kneissl übernahm die auf Englisch gestellte Frage des Korrespondenten des ägyptischen Fernsehens spontan auf Arabisch, stand ihm Rede und Antwort und ließ ihn verblüfft zurück: „Es ist das erste Mal in meinen 20 Jahren hier, dass ein europäischer Minister Arabisch spricht.“
Diesem atmosphärisch lockeren Anfang des Ministerratstreffens folgte eine Tagesordnung todernster Gesprächspunkte, die mehrheitlich den inhaltlichen Interessen der neuen Chefin am Minoritenplatz entsprachen. Mahmoud Abbas, der Präsident der Palästinenserbehörde, war zum Arbeitstreffen geladen worden, eine neue EU-Strategie für den Irak stand ebenso auf der Liste der zu beschließenden Angelegenheiten wie die krisenhafte Lage im von Staatenlosigkeit geprägten Libyen und eine Debatte über die Frage, was die Union angesichts der türkischen Militärangriffe auf die syrisch-türkischen Milizen in der Grenzregion Afrin zu tun gedenkt.
„Nicht auf Schlachtfeld lösen“
„Man muss an den Verhandlungstisch, man kann nicht auf dem Schlachtfeld die Dinge definitiv lösen“, appellierte Kneissl beim Eintreffen im Brüsseler Ratsgebäude an jene Staatsräson, welche der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, in seinem Tun offensichtlich missen lässt. Er habe für die Bombardements von Afrin die Rückendeckung Russlands, erklärte er. Was können die Europäer dem entgegensetzen? Bis auf Appelle, sich auf den gemeinsamen Feind, nämlich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), zu konzentrieren, und Warnungen vor einer weiteren Destabilisierung nichts.
Ähnlich problematisch ist die Rolle der Europäer im schier endlosen Konflikt zwischen Israelis und Arabern. Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, kündigte bei ihrem kurzen Auftritt mit Abbas bloß für den 31. Jänner ein weiteres Treffen jener Gruppe an Staaten an, welche die Palästinenserbehörde finanziell am Leben halten. Sie stellte auch in Aussicht, dass „wir uns andere Optionen anschauen werden, um unser Engagement zu verstärken“.
Damit umschrieb Mogherini die grundsätzliche Bereitschaft der Europäer, mit den Palästinensern ein echtes, vollwertiges Assoziierungsabkommen zu schließen. Das würde die formal größtmögliche politische und wirtschaftliche Anbindung an die Union bedeuten, wenn man von einer Mitgliedschaft absieht, für die es im Fall der Palästinenser ohnehin keine Aussicht gibt. Allerdings versprechen die Europäer bloß, den Beginn solcher Verhandlungen anzudenken. Von einem Abschluss ist, solange es keinen handlungsfähigen palästinensischen Staat gibt, keine Rede. Ob diese unscharfe Zusicherung Motivation genug für den sichtlich altersschwachen und politisch wankenden demnächst 83-jährigen Abbas ist, die radikalen antiisraelischen Kräfte in Gaza und dem Westjordanland zähmen zu können, ist fraglich.
„Keine Lösung ohne USA“
„Wir sind mit Abstand die größten Geldgeber der Palästinenserbehörde“, betonte Mogherini. 291,1 Millionen Euro flossen im Jahr 2016 aus dem Unionsbudget an Abbas' Behörde. Das umfasst auch die Mitfinanzierung von UNRWA, jener UN-Organisation, die sich seit 1948 um die palästinensischen Flüchtlinge kümmert. Mogherini nahm nicht ausdrücklich dazu Stellung, ob die Union eventuell jenen Fehlbetrag von rund 60 Millionen Dollar auszugleichen erwägt, den die USA auf Anweisung von Präsident Donald Trump vorerst einfrieren will.
Während die USA unter Trump keine Anstalten machen, die Palästinenser in eine friedliche Lösung dieses Schlüsselkonflikts einzubeziehen, hoffen die Europäer weiterhin darauf, die Zwei-Staaten-Lösung (mit der gemeinsamen Hauptstadt Jerusalem) zu erzielen. Angesprochen auf das offensichtliche Desinteresse Washingtons, sich in die internationale Diplomatie einzuklinken, sagte Mogherini: „Die USA allein werden es nicht schaffen. Die internationale Gemeinschaft ohne die USA wird es aber auch nicht schaffen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2018)