Eiszeit zwischen EU und Kreml

Vladimir Putin.
Vladimir Putin.(c) imago/ITAR-TASS (Mikhail Metzel)
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Mehrere Unionsstaaten weisen wegen des Giftanschlags von Salisbury russische Diplomaten aus. Kanzler Kurz will stattdessen „Dialogkanäle“ aufrechterhalten.

Brüssel. Der Giftanschlag auf den früheren russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia vom 4. März zieht schwere außenpolitische Folgen nach sich. Mehrere europäische Regierungen werden als Reaktion auf dieses, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Russland organisierte Attentat in der Kleinstadt Salisbury russische Diplomaten des Landes verweisen oder prüfen dies zumindest. Es sind dies nach derzeitigem Stand Frankreich, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Tschechien, Schweden, Kroatien und Dänemark (Großbritannien hat bereits 23 Angehörige der russischen Botschaft in London ausgewiesen). Kanzlerin Angela Merkel hielt es offen, ob Deutschland dies auch tun werde. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, betonte sie allerdings, Hand in Hand mit Frankreich Maßnahmen gegen Russland planen zu wollen.

Kurz will „Druck auf Russland“ machen

Österreich wird hingegen kein russisches Botschaftspersonal aus Wien verweisen. „Wir haben uns entschieden, das nicht zu tun, weil wir der Meinung sind, dass es wichtig ist, Dialogkanäle aufrechtzuerhalten“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Wir sind ein Land mit traditionell gutem Kontakt zu Russland. Das heißt, wir werden auf diplomatischer, aber natürlich auch politischer Ebene unsere Möglichkeiten wahrnehmen, um hier auch auf Russland einzuwirken beziehungsweise um auf Russland Druck zu machen, einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten.“

Der Vortrag von Premierministerin Theresa May über die britischen Ermittlungsergebnisse dürfte starken Eindruck auf mehrere Staats- und Regierungschefs gemacht haben. Drei Stunden lang dauerte die Debatte über den Salisbury-Anschlag, infolge dessen Skripal und seine Tochter, die im künstlichen Tiefschlaf liegen, laut Aussagen eines mit dem Fall betrauten britischen Untersuchungsrichters bleibende Hirnschäden erlitten haben könnten. Knapp nach Mitternacht hatte May ihren erhofften Erfolg: Man einigte sich auf eine gemeinsame, scharfe Verurteilung der russischen Regierung. Der Europäische Rat „stimmt mit der Einschätzung der Regierung des Vereinigten Königreichs überein, wonach sehr wahrscheinlich die Russische Föderation dafür verantwortlich ist und es keine andere plausible Erklärung gibt“, heißt es in den Schlussfolgerungen. Dies stelle eine „gravierende Herausforderung für unsere gemeinsame Sicherheit dar“. Die Mitgliedstaaten würden „sich darüber abstimmen, welche Konsequenzen in Anbetracht der Antworten der russischen Behörden zu ziehen sind“.

Eine Ausweitung der wirtschaftlichen Sanktionen, welche die Union über zahlreiche russische Personen und Unternehmen wegen des illegalen Anschlusses der ukrainischen Halbinsel Krim an Russland sowie der von Moskau unterstützten militärischen Aggression im Osten der Ukraine verhängt hat, steht derzeit allerdings nicht auf dem Programm. Allerdings wurde der EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer, „zu Beratungen“ nach Brüssel zurückbeordert.

Russland: Sprache „inakzeptabel“

Der neue russische Botschafter in Deutschland reagierte scharf auf die gemeinsame Erklärung der 28 Mitgliedstaaten. „So eine Sprache ist inakzeptabel“, sagte Sergej Netschajew der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Er bekräftigte Moskaus Angebot, bei der Aufklärung des Giftanschlags mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. „Aber wir sind gegen Ultimaten und unbewiesene Verleumdungen, geprägt von unangemessenen Aussagen und Parallelen“, sagte er. Sergej und Julia Skripal waren mit einem Nervengift beinahe umgebracht worden, das im Endstadium der UdSSR heimlich von der Roten Armee entwickelt und Nowitschok getauft worden war.

AUF EINEN BLICK

Scharfe Worte gegen Moskau und Ankaraprägten den Europäischen Rat, der am Donnerstag und Freitag in Brüssel stattfand. Russland wurde de facto als Drahtzieher des Giftanschlags von Salisbury benannt, mehrere Mitgliedstaaten planen, russische Diplomaten auszuweisen. Die Türkei wiederum wurde wegen ihrer Blockade zyprischer Schiffe zur Erforschung von Gasfeldern sowie wegen der Inhaftierung mehrerer EU-Bürger, darunter zweier griechischer Soldaten, verurteilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2018)

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