Schiffbruch für Europas Reform der Asylpolitik: Italiens neue populistische Regierung lehnt die Dublin-Reform ab und versetzt ihr den Todesstoß.
Brüssel. Zwei Jahre nach ihrem Vorschlag durch die Europäische Kommission ist die Reform der EU-Asylpolitik auf unbestimmte Zeit gescheitert. Italiens neuer Innenminister, Matteo Salvini, der Anführer der reaktionären Lega, teilte am Montag via Twitter mit, dass seine Regierung beim Ratstreffen der Innenminister in Luxemburg gegen die vorgelegte Reform der sogenannten Dublin-Verordnung stimmen werde.
„Dieses Dossier würde Italien und die anderen EU-Mittelmeerländer noch mehr benachteiligen. Italien darf nicht in ein Flüchtlingslager umgewandelt werden“, lautete Salvinis Begründung.
Er selbst nimmt an der Luxemburger Ratssitzung nicht teil, weil seine Regierung zeitgleich in Rom eine Vertrauensabstimmung durchzusitzen hat. Die Abwesenheit anderer Schlüsselakteure in der europäischen Migrationspolitik veranschaulicht, dass die von der Kommission vorgelegte Reform keinen politischen Rückhalt bei den Regierungen hat. Deutschlands Innenminister, Horst Seehofer, lässt sich ebenso wie sein französischer Amtskollege, Gérard Collomb, vertreten.
Politisches Scheitern auf Chefebene
Bei einem informellen Frühstück werden die Innenminister beziehungsweise sonstige Vertreter der Mitgliedstaaten erörtern, ob man sich darauf einigen kann, dass ein von der bulgarischen Ratspräsidentschaft leicht veränderter Text des Kommissionsentwurfs grundsätzlich als Basis für weitere Verhandlungen taugt. Informell und ohne Direktübertragung im Internet deshalb, um den nationalen Delegationen die Möglichkeit zu geben, Tacheles zu reden. Denn die Lager scheinen weit voneinander getrennt: Einerseits die Mittelmeerstaaten wie Italien und Griechenland, die sich mehr Solidarität der Binnenstaaten bei der Verteilung von Asylbewerbern wünschen. Andererseits die vier Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien, die von dieser Form der Solidarität nichts wissen wollen und stattdessen mehr Verantwortung von den Südländern bei der ordnungsgemäßen Registrierung der Asylwerber und der Abwicklung ihrer Verfahren wünschen.
Dieses Scheitern bei der Lösung einer der wichtigsten politischen Fragen Europas offenbart, wie problematisch die Vorstellung der Regierungen ist, man könne alle wesentlichen Dossiers auf Chefebene lösen, also bei den Staats- und Regierungschefs. Denn dort, beim Europäischen Rat Ende Juni, hätte die Einigung über das große, aus sieben Gesetzesakten bestehende Migrationsreformpaket fallen sollen. So hatten es sich die 28 Chefs im Dezember vorigen Jahres vorgenommen. Die Frage drängt sich auf, was sie im halben Jahr seither getan haben, um die Blockaden im Kreis der Innenminister zu lösen. „Die Staats- und Regierungschefs möchten im Juni Beschlüsse fassen“, sagte Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, damals. Diese Hoffnung dürfte mit Salvinis Nein zerschlagen sein.
Neuanlauf erst 2020?
Doch auch die Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie die politische Stimmung richtig eingeschätzt hat, als sie nur ein Jahr nach dem Krisensommer 2015 und mitten im Streit um die verpflichtenden Quoten für die Verteilung von Asylbewerbern aus Italien und Griechenland auf alle Mitgliedstaaten erneut verpflichtende Quoten vorschlug. „Wir spekulieren nicht über Szenarien, von denen wir hoffen, dass sie nicht eintreten“, sagte die Sprecherin von Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos auf die Frage der „Presse“, ob die Juncker-Kommission noch einen neuen Vorschlag für die Dublin-Reform erarbeiten werde, sollten die Innenminister sich am Dienstag nicht einigen.
De facto ist das unmöglich. Ab Oktober wird das Europaparlament, dessen Zustimmung erforderlich ist, angesichts des Wahlkampfs für die Europawahl im Mai nächsten Jahres keine neuen Gesetzesvorschläge der Kommission mehr annehmen. Junckers Nachfolger wird im Herbst danach die Amtsgeschäfte aufnehmen. Ein neuer Anlauf zur nachhaltigen Reform des europäischen Asylwesens ist somit wohl erst im Jahr 2020 realistisch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2018)