Wie verhindert man Asylshopping?

APA/AFP/CRISTINA QUICLER
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Die Regierungschefs sind vor dem Sondertreffen zu Migration am Sonntag in Brüssel in der Schlüsselfrage uneins: Wie ein Weiterreisen von Asylwerbern oder Migranten innerhalb der Union unterbunden werden kann.

Brüssel/Rom. Kaum hatte sich Kommissionschef Jean-Claude Juncker dem Wunsch der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, gefügt, für Sonntag in Brüssel ein Sondertreffen zur Migrationspolitik einzuberufen, wäre es beinahe geplatzt. Giuseppe Conte, Ministerpräsident der neuen italienischen Populistenregierung, erwog unter dem Druck seines rechtsnationalen Vizepremiers und Innenministers, Matteo Salvini, dieses Minigipfeltreffen mit den Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Italien, Österreich, Frankreich, Griechenland, Bulgarien, Spanien, Malta, Belgien, den Niederlanden und Dänemark (die Visegrád-Länder wollen dezidiert nicht teilnehmen) zu boykottieren, wenn die anderen Regierungen nicht auf eine zentrale Forderung eingehen: die Abschaffung des Prinzips, dass Flüchtlinge in dem Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen müssen, den sie als Erstes betreten. Erst danach könne man über eine Flüchtlingsverteilung reden. Auch an ein Veto der Beschlüsse beim Gipfel Ende Juni wird offenbar gedacht.

„Wir reisen nicht dorthin, um Hausaufgaben von Frankreich und Deutschland zu bekommen. Das wäre schade ums Reisegeld“, wetterte Salvini. Er droht ganz offen der EU: Italien könnte seine Finanzbeiträge nach Brüssel stoppen, sollte man nicht auf Rom zugehen. Und: Um zu verhindern, dass Staaten wie Frankreich Migranten und Flüchtlinge nach Italien zurückschicken, sei er zur Schließung der Landgrenzen bereit – also zum Bruch der Schengen-Regeln.

Frontex schon 2020 mit 10.000 Mann

Junckers Kommission hatte in aller Eile einen vierseitigen Entwurf für den nächstwöchigen Europäischen Rat zusammengezimmert, der genau das Gegenteil dieser italienischen Position darstellt. „Wir sehen eine starke Notwendigkeit, sekundäre Bewegungen deutlich zu vermindern, indem wir unter anderem rechtswidrige Übertritte interner Grenzen zwischen Mitgliedstaaten von irregulären Migranten und Asylwerbern unterbinden und schnelle Abschiebungen an die zuständigen Mitgliedstaaten sicherstellen.“

Sekundäre Bewegungen: Darunter versteht man das Weiterreisen von Asylwerbern oder Wirtschaftsmigranten innerhalb der Union. Das ist ihnen nämlich grundsätzlich verboten. In den vergangenen Wochen hat „Die Presse“ in Gesprächen mit Diplomaten mehrerer Mitgliedstaaten immer wieder eine Klage gehört: Abgelehnte Asylwerber entziehen sich der Abschiebung in ihre Herkunftsländer und stellen so oft Anträge in anderen Unionsmitgliedern, bis sie irgendwo Glück haben. Es komme sogar häufig vor, dass Menschen, die in einem Unionsstaat Asyl erhalten haben, aber in einem anderen leben wollen, dort erneut einen Antrag stellen, oft unter falschen Identitätsangaben.

Dieses Asylshopping möchten vor allem die Zielländer der Sekundärbewegungen unterbinden, allen voran Deutschland, Dänemark, Frankreich, die Niederlande, Schweden und Österreich. Für Erstankunftsländer wie Italien und Griechenland hingegen ist es, auch wenn ihre Regierungen das nie offen zugeben würden, opportun, wenn die von ihnen formal registrierten Asylwerber und Migranten untertauchen und nach Norden weiterwandern.

Diesen Zielkonflikt hofft Juncker mit seinem Papier auflösen zu können, indem er neben der genannten Bekämpfung der Sekundärmigration dazu anregt, die Unterstützung für Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen (notabene: Italien und Griechenland) für die „Aufnahme, Unterbringung, Schule und Gesundheitsversorgung von Migranten“ zu verstärken. Zudem solle die Grenz- und Küstenwache Frontex schon im Jahr 2020 auf 10.000 Mann erweiteret werden und das ausgebaute Mandat einer echten Grenzpolizei haben, nicht erst 2027, wie die Kommission es ursprünglich angeregt hat. Auch solle es eigene Asylzentren an den EU-Außengrenzen geben.

Für Conte war dieses Papier dennoch inakzeptabel. Er drohte in einem Telefonat mit Merkel mit seinem Boykott des Treffens am Sonntag, sollte dieser Text schon vorab fixiert sein. Merkel habe ihm erklärt, das Papier sei ein Missverständnis und „beiseitegelegt“, teilte Conte via Facebook mit. Der zweite Vizepremier und Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, bejubelte dies: „Endlich gibt es ein Italien, das in Europa und der Welt respektiert wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2018)

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