Orbán ohne Einsicht: EU-Bericht verletze die "Ehre der Ungarn"

Viktor Orbán während seiner Rede im EU-Vorlament - im Vordergrund: Staatssekretärin Karoline Edtstadler.
Viktor Orbán während seiner Rede im EU-Vorlament - im Vordergrund: Staatssekretärin Karoline Edtstadler.APA/AFP/FREDERICK FLORIN
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Ungarn droht der Entzug des Stimmrechts. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ging im EU-Parlament voll auf Konfrontationskurs. Er ortet eine Rache-Aktion der "Migrationsfreunde".

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán äußerte sich Dienstagnachmittag im EU-Parlament in Straßburg uneinsichtig und im Angriffsmodus zum Antrag, der darauf abzielt, gegen Ungarn ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge einzuleiten. Dem Antrag zugrunde liegt ein Bericht der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini. Dieser attestiert eine "systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn". Abgestimmt wird darüber am Mittwoch.

Orbán holte geschichtlich weit aus. "Ich weiß, dass mein Beitrag nichts an Ihrer Meinung ändern wird", eröffnete Orbán sein Plädoyer. Er sei trotzdem gekommen, denn das Parlament verurteile nicht nur die Regierung sondern das ungarische Volk. Der Bericht verletzte die Ehre der Ungarn. "Sie glauben, dass Sie besser wissen, was Ungarn braucht". Sein Land habe die Freiheit und Demokratie erkämpft, während diejenigen, die Ungarn anklagen, die Demokratie ererbt hätten. Er habe Kompromisse in Bereichen wie Mediengesetz oder Justizbereich mit den Institutionen der EU geschlossen, diese hätten alle keinen Wert mehr. Das Verfahren sei "ein Schlag für den konstruktiven Dialog." Denn "jeder Staat hat das Recht darüber zu entscheiden, wie das Land organisiert wird", so Orbán - und kam auf den Punkt: "Ungarn soll verurteilt werden, weil unsere Bürger so entschieden haben, dass Ungarn kein Einwanderungsland wird". Ungarn lasse sich nicht erpressen. Man werde Migranten stoppen und Ungarns Rechte schützen, sagte Orbán in seiner wenige Minuten dauernden Rede ohne große Überraschungen. Er blieb voll auf Konfrontationskurs.

Nach Orbán war EVP-Fraktionschef Manfred Weber am Wort, der durch seine Kandidatur zum Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen in einer schwierigen Situation ist. Denn Orbáns Fidesz-Abgeordnete sitzen im EU-Parlament in seiner Fraktion, was auch in der EVP umstritten ist. Weber hoffe, dass die EU Schulter an Schulter stehe, wenn es um Rechtsstaatlichkeit gehe - egal in welchem Land. Er weist auch auf die Vorfälle in Rumänien hin, wo ein sozialdemokratischer Regierungschef auf Konfrontationskurs mit den EU-Werten gegangen ist - samt gewalttätiger Niederschlagung von Protesten. ÖVP-Delegationsleiter Horst Karas sagte: "Die Zeit der liberalen Demokratie ist nicht zu Ende" und spielte auf frühere Zitate Orbáns an. Es sei im Interesse aller, dass der ordentliche Dialog nach Artikel 7 eingeleitet werde. Es gehe um die Glaubwürdig der Union. "Populismus, Nationalismus und die Idee Europa schließen einander aus".

Ungarn stehe für "das korrupteste System", das es derzeit in der Europäischen Union gebe, sagte der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Udo Bullmann. Grünen-Chef Philippe Lamberts bezeichnete Orbáns Vergleich der EU mit der Sowjetunion als skandalös. Ungarn sei der EU freiwillig beigetreten und "nie von Panzern der überrollt worden". Der sozialdemokratische Vize-Fraktionschef Josef Weidenholzer verlangte eine klare Entscheidung. "Probleme erledigen sich nicht von selbst", sagte er.

Als Vertreterin der EU-Ratspräsidentschaft, hörte Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) der Debatte zu und musste auch Kritik von der sozialdemokratischen Fraktion einstecken, dass Österreich die Verstöße Ungarns ignoriere.

Heftige Debatte

Guy Verhofstadt, Fraktionschef der liberalen ALDE-Fraktion, bekannt für seine energievollen Rede, wandte sich direkt an die EVP und bat, zur Vernunft zu kommen und die Fidesz endlich aus ihren Reihen auszuschließen. Es sei Zeit, endlich aktiv zu werden.

Von rechten Parteien wurde Orbán demonstrativ unterstützt. "Sie können sich gerne unserem Brexit-Klub zugesellen", sagte der frühere britische UKIP-Chef und Wortführer der Brexit-Kampagne, Nigel Farage. "Nicht nur Ihr Land, sondern auch Sie sind heute beleidigt worden." Farage beschuldigte die EU dafür, dass Ungarn die Stimmrechte wegnehmen wolle. Zugleich lobte er Orbáns "Kühnheit", dass er sich gegen den US-Investor George Soros gestellt habe. Ab der nächsten Wahl wird UKIP wegen des Brexits allerdings nicht mehr im EU-Parlament vertreten sein. Nicolas Bay vom rechtsextremen französischen Rassemblement National, ehemals Front National, verurteilte die "Hexenjagd" gegen Ungarn.

Schon vor seiner Rede hatte Orbán einen kleinen Vorgeschmack gegeben: "Im Europaparlament sind die migrationsfreundlichen Abgeordneten in der Mehrheit", sagte er in einer knapp halbminütigen Video-Botschaft, die er am Dienstag auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte. "Sie schicken sich jetzt an, Rache an Ungarn zu üben, weil die Ungarn entschieden haben, dass ihr Land kein Einwanderungsland wird", führte der rechtsnationale Politiker aus. "Die Wahrheit ist, dass das Urteil gegen uns bereits geschrieben ist."

>> Zur Facebook-Seite von Viktor Orbán

Kurz und Weber machten Druck

Dass Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Orbán vor allem in der Migrationsfrage als Verbündeten sieht, stellte er in der Vergangenheit gerne zur Schau. Doch nun ging selbst Kurz im ORF-Sommergespräch Montagabend deutlich auf Distanz zum ungarischen Regierungschef. Er kündigte an, dass die ÖVP-Fraktion am 12. September im Europaparlament für ein Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn stimmen und die EVP-Mitgliedschaft von Fidesz ruhend gestellt werde. 

Druck kam zuvor auch von Weber. Bisher hatte er Forderungen, Orbáns Fidesz aus der EVP auszuschließen, stets abgewehrt, doch seit er sich bezüglich der EU-Parlamentswahlen aus der Deckung gewagt hat, macht auch er deutlich: Ungarn muss sich bewegen. Zuletzt tat er dies Dienstagfrüh im ZDF Morgenmagazin. Orbán müsse die Sorgen der EU anerkennen und handeln, sagte der CSU-Politiker. "Wenn es keine Bewegung gibt in der Sache, dann wird es für die ungarische Regierung schwierig."

Die Grundrechte der Europäischen Union müssten respektiert werden, sagte er zu Vorwürfen, dass Ungarns Regierung Rechtsstaatsprinzipien verletze und etwa gegen Nicht-Regierungsorganisationen vorgehe. Für die EVP, der auch Orbáns Fidesz-Partei angehört, gebe es bei den Grundrechten "keinen Mitgliedsrabatt" und "keine Verhandlungsmasse".

EVP berät sich in Fraktionssitzung

Auf die Frage, ob die EVP am Mittwoch für ein EU-Strafverfahren gegen Ungarn stimmen würde, sagte Weber, sollte Orbán sich nicht bewegen, werde es bei der Fraktionssitzung am Abend "sehr, sehr schwierige Debatten geben". Die CDU-Führung befürwortet in diesem Fall, dass die EVP am Mittwoch für die Einleitung eines sogenannten Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn stimmt, das zum Verlust der Stimmrechte des Landes in der EU führen könnte. Es gehe "um die Seele des Kontinentes und die muss verteidigt werden", sagte Weber und betont: "Bisher war er zum Kompromiss fähig und bereit und heute wird sich zeigen, ob er das auch in Zukunft ist."

Orbáns Rede hat an der Ausgangssituation nichts geändert. Sollte die EVP tatsächlich gegen Ungarn stimmen, könnte das die Fidesz längerfristig kränken. Die rechte Fraktion rund um FPÖ, italienischer Lega (Salvini) und französischem Rassemblement National (Le Pen) würden Orbán gerne in deren Mitte sehen, wie auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf Facebook erneut betonte.

Auch Matteos Salvinis italienische Lega-Abgeordnete im EU-Parlament werden gegen ein Ungarn-Verfahren stimmen. "Das Europa-Parlament darf keine Prozesse gegen Völker und gewählte Regierungen führen", kommentierte der italienische Innenminister seine Entscheidung. Vor zwei Wochen hatte er Orbán in Mailand getroffen und mit ihm ein gemeinsames Engagement in Hinblick auf die EU-Parlamentswahlen im kommenden Mai besprochen.

(APA/Reuters/klepa)

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