Neben Polen steht nun auch Ungarn am Pranger der EU. Die Europaabgeordneten stimmten mit breiter Mehrheit für ein Artikel-7-Verfahren. Ungarns Außenminister ist empört und spricht von "kleinlicher Rache".
Das Europaparlament hat ein EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn wegen schwerwiegender Verletzungen der Demokratie und der europäischen Werte eingeleitet. Die Abgeordneten in Straßburg stimmten am Mittwoch mit breiter Mehrheit für ein solches Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Neben Polen steht damit auch Ungarn am Pranger der EU.
Gegen Polen hatte die EU-Kommission im Dezember 2017 ein Rechtsstaatsverfahren wegen der Justizreformen in Warschau eröffnet. Im Falle Ungarns ist erstmals das Europaparlament aktiv geworden. Zuständig ist jetzt der Rat der EU-Außen- und Europaminister und die österreichische EU-Ratspräsidentschaft.
Für das Verfahren, das bis zum Entzug der Stimmrechte gehen kann, war eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, Enthaltungen zählten nicht. Für das Verfahren votierten 448 Abgeordnete, 197 waren dagegen, 48 enthielten sich.
Von konkreten Sanktionen ist man aber noch weit entfernt. Im September wollen die EU-Minister weiter die polnische Regierung anhören. Für die Feststellung der Verletzung europäischer Grundwerte müssten vier Fünftel der EU-Staaten stimmen, für einen Stimmrechtsentzug im Rat wäre Einstimmigkeit erforderlich. Ungarn und Polen unterstützen einander gegenseitig gegenüber der EU.
Kleinliche Rache"
Als "kleinliche Rache einwanderungsfreundlicher Politiker" geißelte ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch den Beschluss in Straßburg. Ungarn und die ungarischen Bürger würden verurteilt, "da wir bewiesen haben, dass es keinen Bedarf gibt für die Migration und diese gestoppt werden kann", zitierte die Ungarische Nachrichtenagentur MTI den Minister, der sich gegenüber den Medien in Budapest äußerte.
Der Beschluss des Europaparlaments sei mittels "Betrug geboren worden", denn die Stimmenthaltungen seien nicht im Endergebnis berücksichtigt worden. Nun sollen die juristischen Möglichkeiten ausgelotet werden. Fidesz-Abgeordnete in Straßburg sprachen mit Verweis auf diese Regelung von einer "im rechtlichen Sinn ungültigen Abstimmung", berichtete MTI.
Der Beschluss sei eine neuer klarer Beweis dafür, dass sich die Pro-Einwanderungs-Politiker im Europaparlament in massiver Mehrheit befinden, sagte Szijjarto weiter. Dies treffe ebenso auf die Europäische Volkspartei zu, kritisierte der Minister.
Karas: "Das ist ermutigend"
Der ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas zeigt sich erfreut, dass sich die Mehrheit des Europäischen Parlaments für ein Rechtsstaatsverfahren wegen Verletzung von EU-Werten in Ungarn ausgesprochen hat. "Eine klare Mehrheit will die Grundregeln von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten in Europa verteidigen. Das ist ermutigend. Ich bin erleichtert und froh", sagte der Europapolitiker.
Orbans Partei Fidesz gehört wie die ÖVP der Europäischen Volkspartei (EVP) an. Im Vorfeld des Votums hatte sich EVP-Fraktionschef Manfred Weber aber für die Einleitung des Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn ausgesprochen, ebenso wie ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz.
"Eine historischer Tag", freute sich der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer über die Annahme des Berichts zur Lage in Ungarn und ergänzt: "Das Europaparlament schickt heute ein starkes und schönes Signal für Europa - das ist ein wichtiger Etappensieg für die Grundrechte und zeigt, Beharrlichkeit zahlt sich aus."
Die Vizepräsidentin der Grünen, Monika Vana, kritisierte wiederum die Einladung von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache an Orban, in einer gemeinsamen EU-Fraktion zusammenzuarbeiten. Es sei "ein Skandal, dass die FPÖ den Antidemokraten Orban als Helden feiert". Es brauche jetzt ein entschiedenes Vorgehen des Rats und damit auch der Bundesregierung. "Gerade während der Ratspräsidentschaft Österreichs ist der Kurs von Schwarzblau richtungsweisend für das weitere Verfahren." Der Vizekanzler "aber sucht lieber eine Koalition mit Orban als mit Europa und will eine gemeinsame Fraktion mit der Fidesz. Es braucht nun eine klare Haltung von Kanzler Kurz".