London lenkt erstmals ein: Ein Hoffnungsfunke im Brexit-Drama

Britain's PM May prepares her Conservative Party Conference keynote speech in Birmingham
Britain's PM May prepares her Conservative Party Conference keynote speech in BirminghamREUTERS
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Die britische Regierung signalisiert ihren Willen zu einer umfassenden Zollunion mit der EU, um die Grenze zwischen Irland und Nordirland offen zu halten.

Glückt just zum 50. Jahrestag des Ausbruchs der „Troubles“, der mörderischen Unruhen zwischen nordirischen Katholiken und Protestanten, die Lösung der Frage, was mit der irisch-nordirischen Grenze nach dem Brexit geschehen soll?

Am Donnerstag sickerten Meldungen an die Öffentlichkeit, wonach sich die verhandelnden Diplomaten der Europäischen Union und der britischen Regierung im Grunde darauf geeinigt hätten, dieses größte, durch den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs verursachte Problem zu lösen. Nächste Woche werde London einen konkreten Vorschlag dazu vorlegen, ließen Verhandlungsteilnehmer wissen. Er dürfe darauf hinauslaufen, dass die britischen Behörden weiterhin und sozusagen stellvertretend für die EU Waren inspizieren und verzollen werden, die aus Übersee nach Großbritannien kommen, aber für die Union bestimmt sind – und das, entgegen der bisherigen Haltung Londons, ohne Befristung. Der Austausch von Waren auf der irischen Insel würde in diesem Fall weiterhin reibungslos laufen, weil Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bliebe. Sprich: der Handel vor allem mit landwirtschaftlichen Gütern zwischen Nordirland und der Republik Irland würde nicht behindert.

Kann Austritt abgeblasen werden?

Diese Vereinbarung – so sie nächste Woche tatsächlich in schriftliche Form gegossen wird – klärt allerdings nicht die Frage, wie die Bürger auf der irischen Insel sich weiterhin so frei bewegen können, wie das jetzt dank der britischen EU-Mitgliedschaft der Fall ist. Diese innerirische Freizügigkeit ist Teil des Karfreitagsabkommens, welches die Troubles nach drei Jahrzehnten und mehr als 3500 Toten beendet hatte.

Doch wird der Brexit überhaupt stattfinden? Auf eine zweite Abstimmung oder eine Umwälzung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament in Westminster hoffen all jene Briten, die Unionsbürger bleiben wollen. Am Freitag gab ihnen der Europäische Gerichtshof in Luxemburg frische Hoffnung: Er teilte mit, über ein Ansuchen des schottischen Höchstgerichts im Eilverfahren entscheiden zu wollen. Dieses will vom EuGH geklärt wissen, ob das britische Parlament an die Erklärung des Austrittswillens nach Artikel 50 des EU-Vertrages, ausgelöst durch das Schreiben von Premierministerin Theresa May an Brüssel am 29. März 2017, gebunden ist oder doch noch einen abweichenden Beschluss zum Verbleib in der EU fassen dürfte. Diese Frage ist nämlich in besagtem Artikel 50 nicht geklärt.

Die entscheidende Frage in London ist freilich vorerst, ob Premierministerin Theresa May eine Einigung mit Brüssel über eine weitere Zollunion im Parlament überhaupt durchbringen würde. Die Regierung hat sich verpflichtet, ein Brexit-Abkommen der Zustimmung der 650 Abgeordneten zu unterziehen. Nicht nur weil May eine Minderheitsregierung führt, die auf Unterstützung der erzkonservativen nordirischen DUP angewiesen ist, geht sie damit ein hohes Risiko ein: Die Zahl der radikalen Anti-Europäer, die notfalls gegen die Regierung mobilisierbar wären, wird derzeit auf 45 bis 80 geschätzt.

Allerdings haben sich Mays Aussichten in den vergangenen Tagen deutlich verbessert. Sie überstand den Parteitag der Konservativen nicht nur unbeschadet, klar wurde auch, dass ihre Gegner keinen glaubhaften und mehrheitsfähigen Herausforderer haben. Ihren Widersacher Boris Johnson entzauberte sie eiskalt, und hinter den Kulissen soll Tory-Fraktionschef Julian Smith nicht unzufrieden seine Schäfchen gezählt haben, wer am Ende des Tages mit der Regierung stimmen werde. Man habe den Parteitag „ermutigt“ verlassen, hieß es aus Kabinettskreisen. Nicht unbemerkt blieb aber auch, wie May in ihrer Rede die gemäßigten Kräfte in der oppositionellen Labour Party offen für eine Brexit-Lösung umwarb.

Beobachter in London gehen davon aus, dass die Regierung und die federführenden Ministerien derzeit geschlossen eine Vereinbarung mit Brüssel wollen und Drohungen mit einem „No Deal“-Szenario lediglich innenpolitischer Theaterdonner sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2018)

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