Afghanischer Minister: „Europa braucht junge Arbeitskräfte“

Millionen Afghanen haben das Land verlassen.
Millionen Afghanen haben das Land verlassen.APA/AFP/ADEM ALTAN
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Afghanistans Arbeitsminister Ibrahimi und Tunesiens Staatssekretär Jarboui wünschen sich Abkommen mit der EU, um den Weg für legale Arbeitsmigration zu öffnen. Anlandeplattformen in Tunesien lehnt Jarboui ab.

Wien. Es ist ein Land, in dem schon jahrzehntelang Krieg herrscht. Seit dem Einmarsch sowjetischer Streitkräfte in Afghanistan 1979 wird fast permanent gekämpft. Im Lauf dieses langen Konflikts mit Beteiligung externer Mächte haben Millionen Afghanen das Land verlassen. Und noch heute suchen Tausende ihr Heil in der Flucht. Afghanistans Arbeits- und Sozialminister, Faizullah Zaki Ibrahimi, will sein Land und die Migration trotzdem nicht nur durch die Brille von Krieg und Flucht sehen. „Wir brauchen legale Wege, damit junge Afghanen in Europa arbeiten können“, fordert der Minister vor Journalisten. Ibrahimi war einer der zahlreichen internationalen Gäste der Wiener Migrationskonferenz 2018, zu der das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) eingeladen hatte.

„Wir haben in Afghanistan eine Arbeitslosenrate von 24 Prozent. Und jährlich drängen weitere 400.000 bis 500.000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt“, berichtet Ibrahimi. Zugleich betrage das Wirtschaftswachstum drei Prozent – zu wenig, um diese Menschen aufzufangen. Afghanistans Regierung bemühe sich deshalb darum, auch neue Arbeitsmärkte zu erschließen. Derzeit verhandle man mit Golfstaaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten darüber, wie Afghanen legalen Zugang als Gastarbeiter erhalten können. „Wir könnten uns so etwas auch mit den EU-Staaten vorstellen.“ Es gehe um Angebot und Nachfrage. „Europa braucht junge, qualifizierte Arbeitskräfte.“

„99,9 Prozent kommen zurecht“

Zurzeit kommen aber Afghanen in die EU, die hier um Asyl ansuchen. Extremistsche Gruppen in Afghanistan nehmen vor allem die Volksgruppe der Hazara ins Visier. Die Hazara sind zum Großteil Schiiten – und damit aus Sicht der Jihadisten „Ungläubige“. Sie fallen immer wieder Attentaten zum Opfer und klagen über Diskriminierung.

Der afghanische Arbeitsminister will darauf nicht wirklich eingehen: Man dürfe „nicht verallgemeinern“. Es seien nur einige hundert Personen betroffen. 99,9 Prozent würden mit den Zuständen in Afghanistan zurechtkommen, behauptet Ibrahimi. Um dann aber einzugestehen: „Es gibt Probleme.“ Extremisten wollten das Land spalten.

„Es ist kein Geheimnis, dass in Afghanistan Krieg herrscht. Wir kämpfen nicht nur gegen die Taliban, sondern gegen 23 international bekannte Terrornetzwerke“, sagt der Minister. Die extremistischen Taliban, die das Land bis 2001 regiert haben, sind wieder auf dem Vormarsch. Nach einem Anschlag, dem auch der Polizeichef zum Opfer gefallen war, wurde nun in der Provinz Kandahar die Parlamentswahl um eine Woche verschoben. Im Rest des Landes wird an diesem Wochenende über die Zusammensetzung der Volksvertretung abgestimmt.

„Wir arbeiten daran, die Taliban zurück an den Verhandlungstisch zu bringen“, berichtet Arbeitsminister Ibrahimi. „Mit den Taliban können wir reden. Sie sind Afghanen, und am Ende gibt es gemeinsame Interessen.“ Als größere Gefahr als die Taliban sieht der Minister die zahlreichen anderen Terrorgruppen, die sich vor allem aus ausländischen Söldnern rekrutieren und – so der Minister – Geld und Ausrüstung aus anderen Staaten erhielten.

Tunis strikt gegen Flüchtlingszentren

Zugleich stellt Ibrahimi auf der Migrationskonferenz in Wien fest, dass ein Ende des Kriegs allein nicht dazu führen werde, dass Afghanen im Land blieben. „Wenn es eines Tages Frieden mit den Taliban geben sollte: Glauben Sie, dass die illegale Migration aus Afghanistan nach Europa dann aufhören wird? Nein, sie wird nicht enden, bevor nicht die Ursachen gelöst werden.“ Man könne die Menschen nicht davon abhalten zu „träumen“.

So wie der afghanische Arbeitsminister tritt auch Tunesiens Staatssekretär für Migration, Adel Jarboui, dafür ein, dass für seine Landsleute ein legaler Weg für Arbeit in der EU geöffnet wird – ähnlich wie bei den „Gastarbeitern“, die in den 1960er- und 1970er-Jahren nach Deutschland und Österreich gekommen sind.

Zugleich bekräftigte er: Tunesien werde der Errichtung von Flüchtlingszentren für die EU auf seinem Staatsgebiet nicht zustimmen. „Tunesien ist kein Transitland für Flüchtlinge mehr. Wir sind nicht darauf vorbereitet, für die EU Migranten aufzunehmen, die nicht über Tunesien gekommen sind“, sagt der Staatssekretär bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Generaldirektor des International Centre for Migration Policy Development, dem früheren österreichischen Vizekanzler Michael Spindelegger.

In der EU gibt es Pläne, auf dem Mittelmeer aufgefangene Flüchtlinge und Migranten in sogenannte Anlandezentren in Nordafrika zu bringen. Bisher haben aber die ins Spiel gebrachten Länder wie Libyen, Ägypten oder Tunesien eine Absage erteilt. Jarboui ist dabei deutlich: „Ich glaube nicht, dass diese Plattformen irgendeinen Vorteil bringen – nicht für Tunesien und auch nicht für die EU.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2018)

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