Brexit: Ein wackeliger Durchbruch

EU leaders summit
EU leaders summit(c) REUTERS (Francois Lenoir)
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Die britische Regierung hat einen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen verkündet. Doch im wesentlichen Punkt der Irland-Grenze gibt es noch keine finale Einigung.

London. Großbritannien und die EU-Kommission haben sich auf technischer Ebene auf eine Vereinbarung über den Austritt des Landes aus der Europäischen Union geeinigt. Während London am Dienstagabend die Nachricht von einem Deal hinausposaunte, gab man sich in Brüssel zurückhaltender. Doch auch hier sagte ein „hochrangiger EU-Diplomat“ dem „Daily Telegraph“: „Wir können mit Sicherheit von einer technischen Vereinbarung sprechen, aber alles hängt nun von der britischen Regierung ab.“

Diese wurde von Premierministerin Theresa May für Mittwoch, 14 Uhr Ortszeit zu einer Sondersitzung zusammengetrommelt. Davor nahm sie Dienstagabend „Schlüsselminister“ ins Gebet. Die Minister erhielten die Gelegenheit, das 400 Seiten umfassende Dokument einzusehen. May konnte nicht das Risiko eingehen, weitere Minister aus Protest gegen ihr Verhandlungsergebnis zu verlieren. Umgekehrt war aber für die oft so vollmundigen Kritiker der „Jetzt oder nie“-Moment gekommen. „Die allerletzten Spielminuten laufen“, sagte ein Minister der BBC.

Über den Inhalt der Vereinbarung wurden nur Mutmaßungen bekannt. Bis zuletzt war die Frage der inneririschen Grenze der Knackpunkt. Zurückhaltende Reaktionen aus Dublin gaben Anlass zu Spekulationen. Noch war nämlich unklar, wie nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Beide Seiten sind sich einig, dass es keine Grenzkontrollen geben soll. Dies stößt aber auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays konservativer Tory-Partei. „Wir setzen die Verhandlungen fort“, meldete Irlands Außenminister Simon Coveney demonstrativ nicht enthusiastisch.

Andere Mutmaßungen gingen davon aus, dass der Kompromiss einen Verbleib nicht nur Nordirlands, sondern des gesamten Königreichs in der EU-Zollunion vorsieht, sollten sich London und Brüssel bis Ende 2020 nicht auf ein Handelsabkommen einigen. Ohne das Abkommen zu kennen, zeigte sich Ex-Außenminister Boris Johnson empört: „Wir bleiben in der Zollunion und Teilen des gemeinsamen Marktes. Damit werden wir zu einem Vasallenstaat.“ Auch der führende EU-Gegner Jacob Rees-Moog sprach sich gegen die Vereinbarung aus.

Tatsächlich ist der Deal, sollte er vom Kabinett angenommen werden, nur der erste Schritt auf dem Weg Großbritanniens aus der EU. Am Dienstagabend wollten die EU-Verhandler in London beraten. Danach könnte ein EU-Sondergipfel noch vor Ende November eine Vereinbarung absegnen, ehe die Parlamente das letzte Wort haben.

Dabei war in Großbritannien eine Zustimmung alles andere als gesichert: May führt eine Minderheitsregierung, die auf die nordirische DUP angewiesen ist. Die Partei hat ultimativ die Verteidigung ihrer „blutroten Linie“ verlangt, wonach es keinen Unterschied zwischen Nordirland und dem restlichen Großbritannien geben dürfe. Wenn es trotz aller Schwierigkeiten gelingt, eine Vereinbarung durchzusetzen, scheidet Großbritannien am 29. März 2019 auf geordnetem Weg aus der EU aus. Dann folgt eine Übergangsperiode bis Ende 2020, in der ein neues Handelsabkommen ausgehandelt werden soll. Wenn dies scheitert, tritt der sogenannte Notfallplan in Kraft.

Brüssel erhöht Druck mit Notfallplan

Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft hat für Mittwoch eine Sondersitzung der EU-Botschafter einberufen. Die EU-Kommission hatte ungeachtet der britischen Äußerungen davor noch rasch einen Notfallplan veröffentlicht. Die Gespräche liefen zwar weiter, und es gebe Fortschritte, sagte der Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, dennoch sei ein No-Deal-Notfallplan notwendig.

Der publizierte Teil der EU-Pläne betrifft den Reiseverkehr: Briten und EU-Bürger werden darin unter anderem darauf hingewiesen, dass nach einem harten Brexit Führerscheine unter Umständen nicht mehr gegenseitig anerkannt werden, hohe Roaming-Gebühren anfallen, Haustiere nicht mehr nach Großbritannien mitgenommen werden dürfen.

Lexikon

Rechtsstaatsverfahren. Ein Verfahren laut Artikel 7 des EU-Vertrags kann wegen Verstößen gegen rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze gegen jedes EU-Land gestartet werden. Der Vorschlag kann entweder von der EU-Kommission, vom Rat der EU oder vom EU-Parlament kommen. Ein EU-Gipfeltreffen muss letztlich einstimmig (ohne den betroffenen Regierungschef) eine Verletzung feststellen. Als Sanktion kann dem Land das Stimmrecht im Rat so lang entzogen werden, bis es die vorgegebenen EU-Standards wieder erfüllt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2018)

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